Reise in die arabische Haut
Blätter stürmisch über das Feld wirbelt. Unser Sonnenbad neigt sich dem Ende zu, als Ali Baba die Olivenbäume gestutzt hat, sich auf seine Kutsche setzt und mich zu sich heranwinkt.
Ich kann mein Glück kaum fassen, dass ich der Flüchtlingsfahrt entronnen bin. Ich nehme Mehdi auf meinen Schoß und rufe: »Yalla.«
Baba treibt den altersschwachen Esel an. Der warme Wind durchstreift meine offenen Haare. Ich fühle mich wie Königin Beatrix, die eine majestätische Kutschfahrt durch die holprigen Straßen eines Gastlandes absolviert. Elegant winke ich den Leuten zu, die an den Straßenrändern neugierig Ausschau halten. Ali Baba, der mit mürrischem Gesichtsausdruck den müden Esel scheucht, zerquetscht fast meine Hand, als er sie nach unten drückt. Ich muss mir endlich merken, dass Augenklimpern und Winken in Beni Hassen nicht gern gesehen sind.
Spätnachmittags verfolge ich die weißen Wolken, die in rasanter Geschwindigkeit über unseren Hof hinwegziehen.
Unser Sonntagsessen ‘Brik‘
Auf eine Hälfte Brikblätter
gekochte Kartoffeln, Petersilie und Thunfisch legen,
bunter Pfeffer, Salz, scharfes Paprikapulver darüber streuen,
ein rohes Ei über die Masse aufschlagen,
mit den übrigen Brikblättern bedecken,
fest aneinander kleben.
Die Briktaschen in Öl frittieren.
Die Mahlzeit ist eine fettige, hochkalorische Angelegenheit. Aber so lecker, dass ich nicht mit dem Reinschaufeln aufhören kann. Später dankt mir mein Magen mit einem Völlegefühl und furchtbarem Sodbrennen.
Arztbesuch
Meine Medikamente gehen zur Neige. Ich will nicht mit meiner latenten Psycholabilität erneut Kontakt knüpfen. Ich brauche meine Pillen. Erste Hilfe verspricht ein qualifizierter Mediziner, der mir Antidepressiva und Beruhigungsmittel verschreibt.
»Do you come with me to go to the doctor?«
Abenteuerlustig laufen Jamila und ich Hand in Hand durch die Gassen. Da meine Schwägerin auf den Bus besteht, schaukeln wir im fast leeren Dayliner nach Sousse.
Die trottelige Jamila hat den Zettel mit Khalids Notizen über den neurologischen Facharzt unterwegs verloren. Wir suchen uns den Weg zu einer anderen Arztpraxis. Ich bin ungehalten, denn wer weiß, wo wir jetzt hingeraten?
Ein Blechschild mit arabischen Hieroglyphen weckt Jamilas Interesse. In der altertümlichen Praxis sitzt eine ältere Frau im schneeweißen Kittel. Ein weißes, stramm gebundenes Kopftuch bedeckt ihr Haupt. Jamila versichert mir, dass wir bei einem Allgemeinarzt gelandet sind und ich keine Panik schieben muss, da mir jeder Arzt die Psychopillen verschreiben darf. Die Sprechstundenhilfe reicht mir eine Kostenaufstellung über den Tresen. Der Arztbesuch kostet zwanzig Dinar. Die Untersuchung mit einem Ultraschallgerät schlägt mit fünf Dinar mehr auf das Budget. Sonderangebot funkeln meine grauen Zellen. Ohne zu wissen, welches Organ analysiert werden soll, buche ich die sonografische Darstellung gleich mit.
Wir setzen uns in den dielenartigen Wartebereich. Uns gegenüber sitzt ein junger Bursche. Seine dunklen Augen funkeln wie leuchtende Sterne am Horizont. Jamila starrt verlegen auf ihre altmodischen Sandalen. Der Jungspund grinst mich unverschämt an. Der will mich. Mein Allah, sogar in den Arztpraxen tummeln sich die Beznesser. Genervt lächele ich zurück.
Ich schaue auf den kleinen Fernseher, der im Wartebereich oben links an der Wand hängt. Im TV läuft eine medizinische Ratgebersendung. Ein arabischer Wunderheiler führt bei einem Hadschj eine Abtastung des Rückens durch. Das Thema ist recht ansprechend für eine Arztpraxis.
Nach einer halben Wartestunde geleitet uns die Arzthelferin ins Sprechzimmer. Der Halbgott in Weiß sitzt hinter einem modernen Glas-Schreibtisch. Die Wände schmücken antike Apothekerschränke von anno dazumal, die mit zahlreichen Chemiebomben belagert sind.
Der Doktor begrüßt uns mit einem distanzierten Kopfnicken. Jamila schildert meine frühere seelische Erkrankung sowie jetzige latente Depression. Sie schildert, dass die Medizin ausgegangen ist. Der Arzt schaut mich prüfend an. Er erkundigt sich nach meiner Krankengeschichte. Ich nicke mit dem Kopf und bestätige: «Naam, naam.«
Mir ist es egal, was er sagt. Hauptsache, ich bekomme schnellstens meine Pillen.
Der Mediziner steht auf, kommt bedrohlich auf mich und stopft mir einen Spatel in den Mund.
Mein Allah, ich hab‘s nicht mit dem Hals.
Nach einem Blick auf meine Mandeln fordert er mich auf, ihm ins Untersuchungszimmer zu folgen.
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