Reise in die arabische Haut
in die Luft. Shirin fasst an ihren Kopf und betatscht nachfolgend meine lange Mähne. Sie formt ihre Finger zu einer Schere und schneidet mir imaginär die Spitzen ab.
Es steht ein arabischer Friseurtermin auf dem Programm. Ich freue mich riesig auf eine entspannte Kopfmassage.
»Ohhh«, wispere ich, als Shirin den bräunlichen Vorhang zur Seite schiebt und wir ins neunzehnte Jahrhundert zurückversetzt werden. Zwei altehrwürdige Friseurstühle wurzeln vor einem mittelalterlichen, kackbraunen Küchenbüfett. Das gleiche Exemplar diente früher meiner Uroma als Vorratsschrank.
Im tunesischen Frisierspind türmen sich Haargel, Haarspray und Pomade. An der ehemals weißen Wand klebt ein eingerahmtes Diplomzeugnis. Da ich den arabischen Buchstaben nicht mächtig bin, hoffe ich, dass dieses Plakat für eine gute Ausbildung wirbt.
Meinen Abglanz sehe ich in einem rechteckigen Standspiegel, der inmitten der Stube auf dem Boden festgeschraubt ist. Auf der linken Seite befinden sich eine bequeme Chaiselongue für Wartekundschaft und zwei Holzstühle für aktive Klienten.
Eine feine Dame mit eleganter Hochsteckfrisur kämmt ein circa zehnjähriges Kind.
Wir kauern zwei Minuten auf der Ottomane, als die Friseurin das junge Fräulein fertig gestriegelt entlässt.
Shirin bespricht unser Anliegen mit der jungen Salonchefin. Bedenkend huschen ihre Augen über meinen Schopf.
»Muss an mir so viel verändert werden?«, frage ich lachend. Wohl wissend, dass mich niemand versteht.
Bekanntlich sind Geschmäcker verschieden. Meinesteils fühle ich mich recht ansehnlich. Konträr dazu nutzt es aber nichts, sich gegen Walda und Shirin zu wehren. Wenn sie sich irgendetwas in den Kopf setzen, ziehen sie es auf Gedeih und Verderb durch. Als Alternative wird der Advokat zwischengeschaltet. Ich nehme das Schönheitsprogramm freiwillig auf mich.
Es ziept, als die Dame meine Haare kämmt. Ich beiße mir auf die Lippen, um nicht zu kreischen. Sie säbelt meine Haarspitzen ab, als ginge ansonsten die Welt unter. Kuriose Schneidtechnik.
Vielleicht ist das eingerahmte Bild gar kein Diplomzeugnis, sondern ein Schulzeugnis ihrer Tochter? Es wird Zeit, arabische Schriftzeichen zu lernen, um hier nicht dauernd verarscht zu werden.
Die Friseurin dreht einen Haarstrang meines ungewaschenen, trockenen Haares auf die Bürste und föhnt in einer Gluthitze, sodass meine Matte wie ein Schornstein dampft. Schmerzvoll beiße ich meine Lippen durch. Der Blutgeschmack lenkt mich vom heißen Haupt ab. Ich kneife mich heftig in den Arm, um die Granatenschmerzen vom Schädel sowie den Lippen auf den Unterarm zu verlagern.
Als ich in den Spiegel schaue, blickt mir eine aalglatte Pennerin entgegen. Meine ehemals makellosen Haare hängen fettig auf meinen Schultern herab. Ein Look, als hätte ich sie ein halbes Jahr nicht mehr gewaschen.
Shirin klatscht in die Hände: »Brima yaser.«
Gehen die Schönheitsideale zwischen Deutschland und Tunesien so arg auseinander?
Erleichtert, dass ich den Friseurbesuch bewältigt habe, bedanke ich mich mit einem shukran.
»Beslama«, würge ich indisponiert heraus.
Shirin kräht: »Non.«
Mir schwant, dass sich mein Martyrium noch eine Weile hinzieht.
Die Dame bittet mich, auf einen Sessel zu klettern, der eine verblüffende Ähnlichkeit mit einem Zahnarztstuhl aufweist.
Da ich nicht an das Bitterböse im Menschen glaube, lege ich mich unbefangen in diesen Stuhlsessel. Lady Haarverbrennung knetet mit ihren Fingern eine zähe Masse durch. Noch ehe die Standuhr zur vollen Stunde schlägt, pappt sie mir das braune Gummi auf die linke Augenbraue. Ich denke an nichts Kriminelles, als mir fast das gesunde Auge herausgerissen wird.
»Oh mein Allah«, kreische ich und verdecke mit meiner Hand schützend das lädierte Auge. Ehe ich es verhindern kann, klebt sie mir dieses mörderische Zeug auch auf die andere Braue. Es steht mir nochmals ein Schmerz bevor, der mich verbrennt. Ergo schreie ich vorsorglich, als drehe ich mich aufgespießt über ein Lagerfeuer. Zwei Kleinkinder reißen den Türvorhang zur Seite, um herauszufinden, wer hier abgestochen wird. Shirin wankt leichenblass vor die Tür, um den versammelten Leuten auf der Straße meine Unversehrtheit anzukündigen.
Vorausschauend schließt sie die Eingangstür, die wegen der warmen Witterung offen stand.
Als die Folterdame meine rechte Braue abreißt, geht mir die wohlgepriesene Contenance am Arsch vorbei. Ich presse beide Fäuste auf meine Augen, und krakele:
Weitere Kostenlose Bücher