Reise in die arabische Haut
»Verrecke, du Zecke.«
Mein kostbares Sehvermögen! Meine Augen brennen wie ein flammendes Lagerfeuer. Zur allgemeinen Beruhigung: Ich kann noch etwas sehen.
Die Betonung liegt auf Etwas.
Nach bewältigter sadistischer Brauenentfernung gleiche ich Schneewittchen. Ich hasse die Schöne mit ihren glatten Haaren und dem schmalen Augenbrauenstrich. Ich hasse Zwerge. Ich hasse sieben Männer im Wald. Ich hasse Tunesien und die gesamte Welt.
Shirin bezahlt meine schändliche Metamorphose und schiebt mich aus dem bizarren Friseursalon. Vor dem Geschäft warten drei verhüllte Frauen auf die deutsche Sensation. Shirin zeigt mit der Hand auf mich und ruft lächelnd: »Voilà.«
Die neugierigen Leute bejubeln mein neues Styling. Foppen mich die Frauen, oder wird arabische Schönheit anders definiert, als die deutsche Ästhetik? Aufgrund meiner erworbenen Hässlichkeit bin ich jetzt sogar bereit, ein Kopftuch zu tragen. Niemand kommt auf den Geistesblitz, mir eins zu offerieren.
Walda erwartet uns vor dem Eingang ihres Ladens. Vielleicht alarmierte sie mein Schreien und die Besorgnis trieb sie hinaus. Sorge? Das war wohl nichts. Lachend zupft sie an meinen empfindlichen Strähnen, während Shirin meine Folterung in blühenden Worten ausschmückt.
Gerade jetzt gäbe ich meinen letzten Slip für eine eiskalte Kompresse her, aber außer Windeln, Tee und Parfüm ist hier nichts zu holen. Ich schmettere mich auf das Sofa und träume von weniger rabiaten Friseuren und von behutsamen Kosmetikerinnen, die im fernen Deutschland operieren. Soll ich Khalid um ein Rückflugticket bitten? Shirin und Walda plappern hämisch in einer Tour. Sicherlich mokieren sie sich über die dumme Deutsche, die wegen einer Augenbrauen-Vernichtungslappalie die halbe Stadt zusammen geschrien hat.
Daheim kuschele ich mich an Jaddas Brust und heule mir den Kummer aus der Seele. Mysteriös zieht sie ein ärgerliches Gesicht, geht hinaus und schreit: »Allah akbar, malla nhar emshum.«
Oh Himmel, was für ein böser Tag.
Walda entschuldigt sich: »Samahni.«
Alles kein Problem. Ich antworte: »Mush mushkel.«
Ich verzeihe ihnen, mache aber ab sofort um jeden tunesischen Friseur einen großen Bogen.
Buttermilch und Fladenbrot
Shirin besorgt acht Flaschen Milch. Interessiert gucke ich zu, wie sie den Vorrat konserviert. Sie gießt die Kuhmilch in eine hohe Keramik-Kalebasse und verschließt diese mit einem umgebundenen Tuch. Sie stellt das Gefäß in eine dunkle Ecke des offenen Küchenschrankes.
Die Milch dickt einige Tage ein. Der Geruch der sauren Pampe verleidet mir die Küchenarbeit.
Fünf Tage später knetet Jamila einen Teig aus Mehl, Hartweizengrieß, Zucker, Salz und Hefe. Währenddessen knickt Walda Olivenzweige ab und entfacht ein Feuer im Betonofen.
Nachdem der Teig aufgegangen ist, modelliert Jamila kleine Bällchen, die sie für Walda auf einem Tablett anrichtet.
Walda lässt eine Kugel in der Hand rotieren, formt daraus eine Scheibe, die sie wässert und innen an die Ofenwand klatscht. Erstaunt registriere ich, dass das runde Brot nicht ins Feuer fällt.
Die Fladen backen zehn Minuten. Das traditionelle Chopz schmeckt delikat. Es geht nichts über holzofengebackene Brotlaibe. Ich will nochmals kräftig zubeißen, als Shirin mir den Fladen aus der Hand reißt.
»Non, Non«, winkt sie ab. Anscheinend wird hier gierigen Deutschen die Hefe aus dem Brot geklaut.
Shirin tunkt eine Hälfte des hellen Fladenbrotes in Olivenöl und gibt mir das Brot zurück. Akut überkommt mich mein Sodbrennen, das durch das fettige Essen konstant auftritt.
»Mein Bauch«, ächze ich und reibe mir denselben.
Shirin kapiert nicht, dass mir der Magen durch die ungewohnt fettigen Speisen Probleme bereitet. Aus Unwissenheit kredenzt sie mir drei ölgetränkte Brote auf meinem Teller, weil sie das Bauch reiben als Hungergefühl interpretiert.
Jadda, die unter Gallensteine leidet, bemerkt als Einzige, dass ich den öligen Fladen nicht vertrage. Sie bedient sich von meinem Teller. Yasser und Houda, die beiden Kinder von Alisha, auf die wir heute aufpassen, springen übermütig über Stock und Stein. Die Erwachsenen sind abgelenkt. Niemand achtet darauf, ob ich esse. Ich füttere Yasser und Houda mit meinem restlichen Ölbrot.
Als Houda in der Küche spielt und sich die Lippen mit Harissa vollschmiert, erinnert sich Shirin an die saure Milch, die seit Tagen in der Küche eindickt.
Sie trägt die Kalebasse in den Hof.
Walda, die noch immer Chopz an
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