Reise in die arabische Haut
durchstreife.«
»Das darf nicht wahr sein. Sie sollen dir gefälligst Tunesien zeigen und dich nicht abschieben.«
»Mach langsam, Habibi. Sie müssen schließlich arbeiten«, entschuldige ich unsere Harz-IV-Einkommens-Jobber. Das Hartz-IV-Gehalt ist noch geprahlt, denn die meisten Tunesier verdienen viel weniger.
»Du hast keinen blassen Schimmer vom Arbeitsleben meiner Eltern. Meine Herrschaften sind ihre eigenen Chefs. Jetzt, wo du zu Gast bist, können sie ihre Geschäfte schließen und dir die Gegend zeigen. Bankrott gehen sie dadurch auf keinen Fall.«
»Ich bin nicht zu Besuch, ich wohne hier«, bäume ich mich auf und ordere meinen Schwiegervater herbei, weil Khalid nach ihm verlangt.
»Ali Baba. Khalid talfan.«
Ali unterhält sich mit Khalid. Da ich mir sein lautes Gelaber nicht antun möchte, schlurfe ich in mein Zimmer.
Nachdenken - Bedenkzeit über Deutschland. Wir sind uns nicht bewusst, in was für ein bequemes, liberales Land wir hineingeboren worden sind.
Es fängt bei der Toilette an. Bei uns sind die Bäder in der Wohnung, meistens neben den Schlafzimmern. Hier laufe ich quer über den betonierten Hof, um zur Toilette und zur Dusche zu gelangen. In den Frühlings- und Sommermonaten kein Problem. Aber im Winter ist es nachts bitterkalt.
In Germany pflastern massenweise Discounter die Städte. Das Angebot an Lebensmitteln in diesen Läden ist riesengroß. In Tunesien gibt es vorwiegend Kioske mit einer begrenzten Präsentation. Supermärkte findet man nur in der Hauptstadt und in den Touristenstädten.
In Deutschland bevölkern die neusten Modelle der Autoindustrie die sanierten Straßen. Katalysatoren und Umweltplaketten sind an der Tagesordnung. Großgeräte und Möbel werden durch Speditionen angeliefert. Hier im Maghreb pflastern Esel, Mofas und Schrottkisten den Weg. Die Luft wird durch Abgase geschwängert. Mich soll es nicht wundern, wenn ich mir hier ein Lungenleiden einfange. Sperrgüter (Waschmaschinen, Gasherde, Kühlschränke) werden mühselig mit dem Motorroller oder dem Eselskarren transportiert. Über ein Auto verfügt nicht jeder Haushalt.
In Deutschland gibt es Ampeln, sodass die Fußgänger bequem auf die andere Straßenseite wechseln können. In Tunesien muss man im Straße überqueren ein Diplom absolviert haben oder man bleibt auf der Straßenseite stehen, wo man sich befindet.
In Deutschland eilen die Frauen mehr ent- als bekleidet durch den Sommer. In Tunesien schwimmen die Frauen sogar mit Kleid und Schleier. Badeanzüge werden kaum geschneidert.
Deutschland bietet Warengüter aus aller Welt zum Kauf an. Man muss weder selber ernten noch konservieren. Die Tunesier fabrizieren von Brot über Butter bis hin zu den Gewürzen alles mit der Hand, weil Importgüter überteuert sind.
In Tunesien kauft man saisonal. Im Winter schüttet die Orange das wichtige Vitamin C aus und im Sommer erfrischt die Melone. In Deutschland schlucken wir Vitamintabletten.
Die Deutschen sind dem Konsum verfallen. Die Tunesier erledigen ihren Konsum selber.
Im Biozeitalter fällt Deutschlands Bevölkerung wieder in die damalige Zeit zurück. Gemüse wird vermehrt selbstangebaut und Mutter backt vollwertig aus dunklem Korn. Es gibt regionale Einkaufsläden. Sprossen werden selbst gezüchtet und die Milch lässt man über Nacht eindicken. Das Zeitalter der Selbstversorgung ist angebrochen respektive wieder zurückgekehrt.
Man sieht, dass die Tunesier mit ihrer Lebensweise nicht falsch liegen. Denn wir wollen auf diesen Level zurück, wo sich das tunesische Leben zurzeit abspielt.
Die größte Differenz zwischen den Ländern besteht darin, dass Deutschland ein Sozialstaat ist und die Sozialschwachen mit einer ausreichenden Grundsicherung aufrecht hält.
In Tunesien helfen sich die Familien gegenseitig. Großfamilien genießen in der tunesischen Gesellschaft einen hervorragenden Ruf. Kinder sind die Lebensversicherung beziehungsweise die Rentenversorgung. Die Großfamilie verpflegt Jadda kostenlos mit. Somit spart diese ihr minimales Geld für El-Hadsch. Kaum zu Ende gedacht, fällt eine Träne auf das Buch von der Kinsella. Je mehr ich über Deutschland nachdenke, umso mehr sehne ich mich zurück. Mein Heimweh dreht drei Runden auf der Achterbahn.
Letztendlich vergieße ich tausend Tränen und imitiere Jaddas Heulkonzert. Ob ich Khalid lieber doch bitten soll, mir ein Ticket zu buchen? In meinen Überlegungen vertieft, merke ich nicht, wie sich die Tür öffnet und Walda
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