Reise in die arabische Haut
ich sie, weil sie sich heute zwischen Ausgehtuch und Stock entscheiden muss. In Anbetracht des Herrenbesuches genießt das cremefarbene Verhüllungstuch den Vorrang.
Wir gehen die Straße entlang, biegen um eine zugemüllte Ecke und betreten die einstöckige Kate. Im Entree des hellblauen Häuschens steht Farah, Jadds dritte Frau. Sie empfängt uns mit einem herzlichen »Salam aleikum«. In ihrem bunt gemusterten Kleid mit himmelblauer Schürze passt sie adäquat zum Haus. Die dritte Frau von Jadd ist die Tochter von Waldas Cousine. Obwohl sie um Jahre jünger ist als ihr Mann, wirkt sie nicht unglücklich. Mit ihrem gleichbleibenden Lächeln strahlt sie Ruhe und ein inneres Gleichgewicht aus.
Farah führt uns über einen quadratischen Hof, der mit allerlei künstlichen Blumen voll gestopft ist. Ein Hoch auf die orientalische Plastikwelt.
Jadd sitzt auf einer am Boden liegenden Matratze. Sein Rücken lehnt an der Wand. Mit dem umgebundenen Handtuch auf dem Kopf beeindruckt er als Scheich. Sein Fernseher ist auf Lautstärke hundert geschaltet. Fit und fidel knabbert er getrocknete Kichererbsen und schürt Feuer in einem kleinen Tonbrenner. Seine offene Tür lädt uns ein, ihm Gesellschaft zu leisten.
»Essalam«, begrüße ich ihn höflich und knickse vor Ehrfurcht tief ein.
Jadda peilt sogleich die Sitzfläche des seitwärts stehenden Sofas an und erklärt dem Jadd, wer ich bin.
»Madam almaniya«, ruft er freudig aus und drosselt die Lautstärke des Fernsehapparates. Ich überreiche ihm ein wohlriechendes Rasierwässerchen aus Alis Hamsterbestand.
»Shukran, shukran«, bedankt er sich und schüttelt den halben Inhalt der Flasche in seine Handfläche. Ab damit ins Gesicht.
Niemand instruiert ihn, dass ein Aftershave nach der Rasur einzusetzen ist und nicht vorher. Ich hätte lieber ein Präshave verschenken sollen. Da ich nicht fähig bin, die Sachlage zu klären, erfreue ich mich an seinem Duftspaß. Noch bevor wir Jadd verlassen, ist die Flasche leer und er duftet bis nach Mekka.
Jadd kocht Tee in einem verschnörkelten, antiken Aluminiumtopf auf dem Holzfeuergrill. Farah serviert dazu Petit Beurre in einer Silberschale. Es dauert eine knappe Stunde, bis die Teezeremonie beendet ist. Das andauernde Umkippen, Wasser auf- und abgießen ermüdet meinen Jadd überhaupt nicht.
Jadda schwärmt: »Oih. Hmm. Tay.«
Königlich nippe ich am exzellenten Getränk. Jadd ist der beste Teezubereiter des Maghrebs. An der Wand hängen Urkunden über Pilgerreisen nach Mekka sowie Koranzitate. Der stolze Jadd, den man mit Hadschj anreden darf, plaudert über das Pilgern während des Opferfestes. Schade, dass ich nicht viel verstehe, worüber sich die beiden älteren Herrschaften unterhalten. Ich wäre jetzt gern eine gebürtige Tunesierin mit gelernter Muttersprache. Respektvoll fantasiere ich mir eine Geschichte über Mekkareisen zusammen, die Jadda mit Jadd unternimmt. Jadds Falten ermöglichen mir, seine Lebensgeschichte zu lesen.
Er hockt die gesamte Zeit im Schneidersitz auf dem Boden. Sein Turban wackelt hin und her.
Mein Teeglas ist fast leer. Noch ein letzter Schluck und wir sind bereit, uns zu verabschieden. Leider Allahs bleibt dieser letzte Tropfen in meinem Rachen hängen.
Ich pruste, huste und ersticke … fast. Der Teegrund ist in der falschen Kehle gelandet. Jadda lacht und erklärt dem Jadd, was mir passiert ist. Jadd schüttelt über so viel Unwissen den Kopf. Die Deutschen scheinen keine Teetrinker zu sein.
Hallo Jadd, auch wir Deutschen trinken Tee. Vorzugsweise den aromatisierten Klammerbeutel-Tee. Da bleiben die Teeblätter im Säckchen und nicht in der Kehle stecken!
Unsere Einkehr dauert knapp drei Stunden.
»Beslama.«
Großvater nickt hoheitsvoll und stellt sofort seinen Fernseher fünf Oktaven höher.
Schwarzes Schaf
Jadda will nach der Jadd-Konsultation spazieren gehen.
Sie stampft mit mir eine Anhöhe hoch und zeigt mir vier kleine Lämmer, die auf einer ausgedörrten Pflanzung grasen.
»Moi«, beteuert sie stolz.
»Wahnsinn«, sage ich und klopfe ihr anerkennend auf die Schulter. Im Gegenzug zu Jadda habe ich keine Statussymbole, die ich vorweisen kann. Ich steige über den niedrigen Zaun auf das kleine Weidestück. Postwendend kommt ein mickriger Schafsbock auf mich zugerannt. Ich gehe in die Hocke und kraule seine dichte, teerschwarze Wolle. Dieses Black sheep erinnert mich an meine schwarze Zeit.
Ich bin bis heute das schwarze Schaf der Familie geblieben. Die psychische
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