Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Reise nach Genf

Reise nach Genf

Titel: Reise nach Genf Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jacques Berndorf
Vom Netzwerk:
kann es nicht gewesen sein, denn der auf dem Nebensitz sagte nörgelnd: »Man hat kaum Zeit für eine Zigarette.«
    Sie hielten in einer stillen, dunklen Straße. Die Straße sah so aus, als hätten hier früher die besser situierten Kreise gebaut. Es war eine Lindenallee. Sie wollten mich herauszerren, aber ich sagte: »Es geht schon, es geht schon. Ist das hier ein stilles Haus, ein sicheres?«
    »Sicher ist es sicher«, antwortete der Jüngere.
    Das Haus war zweistöckig, grau, wahrscheinlich in den fünfziger Jahren gebaut. Es hatte ein schiefergedecktes Walmdach, das machte es heimelig. Vor der Haustür hatte ein Heimwerker eine Art Windfang aus halb durchsichtigen Plastikbahnen gebaut. Darin brannte eine mattgelbe Funzel.
    »Das Haus der Macht«, sagte ich und wollte in den Vorgarten gehen, aber der Große hielt mich an der Schulter fest und sagte:
    »Wir mögen unsere Besucher gerne sauber.«
    Er drehte mich in den matten Schein einer Straßenlaterne wie eine Puppe und brummelte: »Gib mir mal die Kleiderbürste aus dem Handschuhfach.«
    »Er ist schön genug«, sagte der Junge.
    »Nicht doch«, erwiderte der Große, »die Bürste.«
    Während er mich sehr sorgfältig abbürstete, dachte ich daran, daß meine Lieblingswirtin Anke heute standesamtlich heiratete. Wahrscheinlich wunderte sie sich, daß ich nicht wenigstens als Zaungast gekommen war. Ich stellte mir ihr Gesicht vor, als ich sagte: »Mich hat irgendein Geheimdienst geschnappt.« Sie lachte und glaubte es nicht.
    »Wieso grinsen Sie so?« fragte der Mann, der mich abbürstete.
    »Sie amüsieren mich, Sie sind so gründlich.«
    »Opa hat es gerne sauber«, sagte er freundlich.
    Als er mit seinen Bemühungen fertig war, sah ich richtig ordentlich aus, und wenn er mir zärtlich mit einem Kamm durch die Haare gefahren wäre, hätte es mich auch nicht gewundert.
    Sie brachten mich nicht in das Haus, sie gaben mich an der Tür ab. Der Große sagte: »Da ist er.«
    Die Frau, die mich entgegennahm, nickte nur. Es war eine dürre Frau mit spärlichem, fast gelbem Haar und einer großen schwarzen Hornbrille. Sie sagte distinguiert: »Nehmen Sie bitte im Warteraum Platz.«
    Das Zimmer war genauso fade wie die Warteräume der Zahnärzte, die ich kenne. Ein paar alte Illustrierte lagen herum und gaben dem Unternehmen den Hauch der großen weiten Welt. Ich stopfte mir in Ruhe eine Pfeife und schmauchte vor mich hin.
    Nach einer Weile kam ein kleiner dicklicher Mann um die Fünfzig herein. Seltsamerweise trug er ein hellblaues Oberhemd mit einer dunkelblauen Krawatte und darüber einen grauen Pullover. Es war mindestens achtundzwanzig Grad warm. »Das ist nett von Ihnen«, sagte er strahlend. »Kommen Sie mit.«
    Der nächste Raum war noch trostloser als das Wartezimmer. Er war vollkommen kahl und enthielt nichts außer einem kleinen viereckigen Tisch und zwei Stühlen. Es gab kein Fenster.
    »Hier ist es gemütlicher«, sagte er. »Bitte nehmen Sie Platz.«
    Er verschwand für ein paar Sekunden in einem Nebenraum und kam mit einem schmalen grauen Ordner zurück. »Sie sind Baumeister, nicht wahr? Journalist. Was treibt Sie hierher?«
    »Watermann«, sagte ich.
    »Dz, dz, dz«, machte er und schüttelte den Kopf. »Ist die Geschichte nicht uralt?«
    »Ja, eben«, antwortete ich.
    Er schaute in seinen Ordner. Dann fragte er: »Sie haben einen Grund, die leidige Affäre noch einmal zu untersuchen?«
    »Ich denke ja, und es ist mein verfassungsmäßiges Recht.«
    »Das ist es sicher«, nickte er bekümmert. »Können Sie sich vorstellen, weshalb wir Sie hergebeten haben?«
    »Sie haben mich nicht gebeten«, sagte ich. Ich bemühte mich, die Pfeife wieder in Gang zu setzen, ich hatte sie schlecht gestopft. »Ihre Leute haben mich verprügelt.«
    Er sah mich an und war einen Augenblick irritiert. »Das glaube ich nun wirklich nicht. Die Erfahrung lehrt, daß jemand, der verprügelt wurde, nicht so aussieht wie Sie.«
    »Vergessen Sie es«, sagte ich. »Nein, ich kann mir nicht vorstellen, weshalb Sie mich hergebeten haben. Ich weiß ja nicht einmal, was das hier ist. Sind Sie das vierzehnte Kommissariat der Kripo, sind Sie der Bundesnachrichtendienst, der Verfassungsschutz oder gar der Militärische Abschirmdienst? Was auch immer, sagen Sie mir bitte nicht, Sie seien eine Abteilung des Innenministeriums. Das sagen alle und immer.«
    »Jeder füllt seinen Platz aus, wie er kann«, sagte er blumig.
    »Sehen Sie, die Affäre hat uns allen damals viel Kummer und Arbeit

Weitere Kostenlose Bücher