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Reise nach Genf

Reise nach Genf

Titel: Reise nach Genf Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jacques Berndorf
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aus langer Erfahrung, daß immer wieder neue Spuren aufgegriffen werden, übrigens mit oft erstaunlichen Ergebnissen. Falls Sie also einen Hinweis auf neue Tatsachen haben, bitte ich um Mitteilung. Wir möchten nicht noch einmal in ein solches Chaos laufen …«
    »… und hilflos sein«, sagte ich böse.
    »Und hilflos sein«, gab er zu. »Ich sage Ihnen etwas ganz im Vertrauen. Als es ’87 zum großen Knall kam, war ich im Landeshaus. Ich mußte mit ansehen, wie in dem großen Treppenhaus vor mir ein leibhaftiger Minister mit einem Rudel Anbeter vorbeistürmte und ohne Hemmung laut und vernehmlich in die Runde fragte: Soll ich nun abtreten, ja oder nein? Ich dachte damals, ich sei in einem Kindergarten. Ich will das nicht noch einmal erleben.«
    Er ist nur einer, der seine Arbeit tut, dachte ich plötzlich. Dann ärgerte ich mich über meine Milde. »Sie sollten Ihre Leute ein wenig disziplinieren. Die schlagen tatsächlich. Ich gebe Ihnen keine Informationen, ich schütze Informanten. Sie wissen selbst, daß viele Einzelheiten auf Mord weisen.«
    Irgendwie war bei ihm die Luft raus. Er hockte da wie ein Trauerkloß, raffte sich dann auf und versuchte es noch einmal.
    »Sie sind ein freier Journalist, Sie müssen Ihre Recherchen selbst finanzieren. Wer bezahlt Sie denn?«
    »Keine Auskunft.«
    Irgendwo schellte ein Telefon, er sah ergeben zur Decke und stand auf, um in den Nebenraum zu gehen. Als er zurückkam, sagte er schmal: »Ja, dann möchte ich Sie nicht länger aufhalten. Man hat sich gerade nach Ihrem Wohlergehen erkundigt.«
    »Wie bitte?«
    »Ein Kollege rief an. Er fragte, ob es Ihnen gutgeht.«
    »Und? Was haben Sie geantwortet?«
    »Ich habe geantwortet, Sie seien ein Arsch. Ich habe geantwortet, es gehe Ihnen gut.«
    »Dann ist das ja klar«, sagte ich. Ich ging hinaus, und er blieb wortlos zurück.
     
    Der Tag war angebrochen, kein Wölkchen am Himmel, in einem Jasminbusch lärmten Spatzen. Am Rinnstein stand ein Taxi mit laufendem Motor. Hintendrin saß Minna und fragte aufgeregt:
    »Was ist denn eigentlich passiert?«
    »Haben Sie hier angerufen und sich nach mir erkundigt?«
    »Nein. Ich war bei der Kripo, ich kenne da ein paar nette, wichtige Leute.«
    »Sehr gut gemacht, vielen Dank. Was ist das hier für ein Haus?«
    »Das weiß ich nicht«, sagte sie.
    »Verfassungsschutz«, sagte der Taxifahrer. »Wohin?«
    »Zu mir zurück«, sagte Minna. »Haben Sie … ich meine, hat man Sie irgendwie …«
    »Sie haben mich auf Ihrem Parkplatz verprügelt.«
    »Das tut mir leid. Aber woher haben die gewußt, daß Sie bei mir sind?«
    »Ziemlich dumme Frage«, sagte ich wütend. »Überlegen Sie doch nur einmal!«
    »Meinen Sie etwa Karl-Heinz?«
    »Na sicher meine ich Karl-Heinz. Jemand, der unermüdlich für das Vaterland denkt, wird sich mit diesen Leuten prima verstehen.«
    »Das glaube ich nicht«, sagte sie hell empört.
    »Wo wohnt er denn?«
    »Bei mir um die Ecke.«
    »Dann gehen wir ihn besuchen«, sagte ich. »Damit Sie endlich Ihre Naivität verlieren.«
    »Wir können uns auch duzen«, sagte sie.
    »Gut, ich heiße Siggi.«
    »Sie sind sauer, nicht wahr?«
    »Du hast recht, ich bin sauer.«
    »Kennen Sie die Baracken im Gleisdreieck?« fragte Minna den Fahrer.
    Der nickte und murmelte: »Haltet die Gummiknüppel bereit, Leute.«
    »Ist es so schlimm?« fragte ich.
    »Eine Pennersiedlung«, sagte der Fahrer verächtlich.
    Wir kamen an dem Gebäude vorbei, in dem Minna wohnte. Dann wurde die Gegend billig und verfallen. Schließlich hielt der Fahrer vor einem offenen Viereck aus Baracken. »Da ist es. Weiter fahre ich nicht.«
    »Na komm«, sagte Minna.
    »Woher weißt du, daß er hier wohnt? Warst du schon einmal hier?«
    »Nein. Er hat es mir beschrieben. Da drüben in der rechten Ecke. Er sagt immer: Wenn die Bullen kommen, habe ich den Logenplatz.«
    »Wie schön für ihn«, sagte ich.
    Wir marschierten los. Der Innenhof war ein einziger Saustall. Überall lag Unrat herum, überall alte Matratzen, Decken, Sprungfederkerne, Bierkisten, alte Zeitungen. In einer Ecke kümmerte ein Holunder vor sich hin. Die meisten Fenster waren mit Decken verhängt, und genau in der Mitte des Platzes rauchte ein altes Holzfeuer.
    Neben der total vergammelten Tür in der hinteren rechten Ecke war mit einer Reißzwecke ein Zettel angeheftet. Auf dem standen untereinander Namen: Wanda, Gert, Mareike, Karl-Heinz, Schimmi, Max.
    »Na also«, sagte ich, »es geht hier doch richtig geordnet zu. Ich hole ihn raus,

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