Reise nach Genf
Angst.«
»Ich muß hier heraus«, sagte ich. »Gib mir die Klamotten aus dem Schrank.«
»Bist du verrückt?«
»Verrückt vor Furcht«, antwortete ich.
SECHSTES KAPITEL
Ich schrieb dem Arzt einen Zettel, um ihn zu entlasten. Ich schrieb: »Ich betone, daß ich gegen ärztlichen Rat das Krankenhaus verlasse.«
Ich bedankte mich bei ihm und versprach, ihn anzurufen. Dann schlenderten wir auf den Korridor hinaus, und die Krankenschwester, die uns begegnete, strahlte mich an, schüttelte seufzend den Kopf und hauchte: »Mon Dieu!«
»Wo hast du dich einquartiert?«
»In einer Pension in St. Julien. Wie geht es dir? Schmerzen?«
»Nicht sonderlich. Hast du die Zeitungen?«
»Natürlich. Hier.«
Der »Kölner Express« hatte hervorragend formuliert. Da stand gegen Ende des Beitrages über den »hartnäckigen und nie aufgebenden Rechercheur Baumeister« folgende Bemerkung:
»Baumeister mag nicht darüber reden, gibt auch zu, daß fünf Jahre nach dem wahrscheinlich spektakulärsten Todesfall eines politischen Skandalträgers ein Erfolg unwahrscheinlich ist, aber: Baumeister hat Helfer. Helfer in mächtigen Positionen. Da helfen Staatsanwälte und Kriminalpolizei und, wie Baumeister nicht abstreitet, sogar Angehörige von Geheimdiensten. Good luck!«
Der Genfer Kollege Gremm ging die Sache wesentlich gelassener, sozusagen konservativ an, beschrieb aber im Grunde dasselbe: »Hat Baumeister Helfer? Hat er gar Helfer aus deutschen Behördenspitzen? Gar von Geheimdiensten? Baumeister sagt darauf kein Wort, er wäre auch dumm. Aber so gelassen ist nur einer, der sehr genau weiß, wen er nach was zu fragen hat.«
Wir nahmen ein Taxi, wir pirschten uns an mein Auto heran. Es stand ziemlich harmlos im Abendlicht zwischen all den anderen, zu sehen war niemand. Wir zahlten und stiegen aus.
»Geh um den Platz herum«, sagte ich. »Steig ein und komm die schmale Gasse hoch. Dann biegst du rechts ab und nimmst mich auf.« Sie machte es schnell und geschickt.
»Da ist ein Band mit Eric Burdon und der Band von Brian Auger«, sagte ich und fummelte in dem Pappkarton herum. Ich legte es ein, und der scharfe, swingende Beat kam wie eine Siegesfanfare. Ich stopfte mir eine Pfeife, ich machte es sehr genüßlich, es war die Straight Grain von Jeantet.
»Was ist, wenn du Schmerzen bekommst?« fragte sie.
»Ich habe Tabletten mitgenommen. Aber sie haben den Nachteil, mich benommen zu machen, und ich hasse dieses Gefühl. Ich möchte baden. Dann gehen wir auf die Pirsch.«
»Wohin denn?« fragte sie. In ihren Augen stand Angst.
»In die Halle vom ›Beau Rivage‹. Wenn man einen Köder auslegt, muß man erreichbar sein. Sonst ist alles umsonst.«
»Was wird passieren?«
»Ich weiß es nicht, wir werden sehen. Würdest du die Leute, die mich verprügelten, wiedererkennen?«
»Aber ja«, sagte sie fröhlich. »Ich habe sie schließlich sogar fotografiert.«
»Jemand folgt uns.«
»Wer?«
»Der blaue Käfer, dunkelblau, sieht neu aus.«
»Ich fahre eine Schleife«, sagte sie.
Wir kamen an einem Schild vorbei, auf dem Annecy stand. Dann ging es nach links nach Annemasse. Sie bog links ein, sie fragte: »Wie schnell ist er denn?«
»Mehr als hundertsiebzig auf der Geraden. Aber wirklich gut ist er auf schmalen Landstraßen.«
Der Käfer folgte uns nicht mehr, sie wendete. Die Pension, die sie ausgesucht hatte, lag in einer stillen Seitenstraße und hieß Annemarie.
»Ich mußte ein Doppelzimmer nehmen«, sagte sie.
»Macht nichts«, sagte ich.
Ich legte mich auf das Bett, nahm eine der Schmerztabletten und erzählte ihr, was Lilo gesagt hatte, was der Padrone gesagt hatte. Dann duschte ich, wir machten uns stadtfein und fuhren nach Genf zurück. Es war jetzt zweiundzwanzig Uhr. Soweit wir feststellen konnten, folgte uns niemand. Die wortlose Begrüßung der Hotelleute im ›Beau Rivage‹ war diesmal durchaus vertraut. Sie lächelten uns zu, als wollten sie sagen: »Wir kennen euch! Weiter so!« Wir hockten uns wieder auf dieselben Ledersessel, und derselbe Tangotänzer fragte aufgeräumt: »Champagner für Madame, Kaffee für Monsieur?«
»So mag ich es«, sagte ich.
»Wirst du etwa nichts anderes tun, als warten?« fragte sie erstaunt.
»Ja«, sagte ich. Dann winkte ich dem Tangotänzer und bat um ein Telefon. Sie brachten mir ein schnurloses, und ich sagte: »Ich möchte unkontrolliert sprechen.«
»Kein Problem, Monsieur«, sagte er, drehte sich ruckartig auf der Stelle, sauste mit seltsam gestochenen
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