Reise nach Genf
sie.
Ich kann verstehen, daß Mediziner aller Sparten begierig darauf sind, ihr jeweiliges Opfer genau kennenzulernen, bevor sie sich daran begeben, eine geeignete Therapie festzulegen. Die Ärzte im Genfer Krankenhaus, in das ich transportiert wurde, waren besonders neugierig. Sie gaben mir nicht etwa eine schmerzstillende Spritze, bevor sie mich auf den Röntgentisch legten, sondern überantworteten mich einem weiblichen Dragoner, den sie scherzhaft Fifi nannten. Die Frau hatte ein Lebendgewicht von etwa zweieinhalb Zentnern. Sie bog mich, sie faltete mich zusammen, sie spreizte meine Gliedmaßen, daß ich aus dem Jammern nicht herauskam. Dazu nannte sie mich immer »mon petit«, und mehrere Male erwischte sie sozusagen mitten im Ringkampf meinen gebrochenen kleinen Finger, und mit hoher Präzision fiel ich jedesmal in Ohnmacht. Dann wurde Fifi richtig milde, verdrehte mir aber zum Abschluß der Prozedur erheblich das Rückgrat. Als ich zum letztenmal ohnmächtig werden wollte, um so etwas wie Schlaf zu tanken, kam zuerst Minna hinein und in ihrem Schlepptau ein rotbärtiger Wikinger im weißen Mantel, der erklärte, er müsse mich jetzt gründlich untersuchen.
»Das kommt nicht in Frage«, brüllte ich.
»Nicht so erregt, Monsieur«, mahnte er. »Sehen Sie, ich will Ihnen doch nur helfen. Sie haben erhebliche Blutergüsse am Kopf, Sie haben einen erheblichen Muskelriß an der rechten Hüfte, und Sie haben einen gebrochenen Finger. Ich bin der, der sich um Ihre Interna kümmert, ich bin der Internist.«
»Ich war schon bei Fifi«, sagte ich zaghaft.
Da lachte er schallend, er fand das wunderbar.
»Wie lange werde ich hierbleiben müssen?«
»Nicht unter einer Woche«, sagte er ernst. »Stimmt das, daß man Sie systematisch zusammengeschlagen hat?«
»Man kann es so nennen«, murmelte ich.
»Ich gebe Ihnen eine Spritze, Sie müssen jetzt schlafen.«
»Einen Moment noch … ich muß meiner Freundin etwas sagen, ja?«
Er nickte und ging hinaus.
»Hör zu. Du fährst unter keinen Umständen in das Hotel in Ferny-Voltaire zurück. Du suchst dir jetzt eine andere Bleibe. Geh am besten in irgendein Nest außerhalb. Benutze meinen Jeep nicht, keinen Meter. Laß ihn stehen, wo er steht. Nimm Taxis, Wechsel die Taxis, steig überraschend aus und laufe zu Fuß weiter …«
»Ich will dich aber besuchen.«
»Kannst du ja.«
»Erzählst du mir alles?«
»Ja. Aber geh jetzt. Und Wechsel das Taxi.«
Sie ging, der Arzt kam herein, spritzte sein Zeug intravenös, nickte und verschwand ebenfalls. Ich bekam nicht einmal mehr mit, wie er die Tür hinter sich schloß.
Irgendwann wurde ich wach, eine Krankenschwester kam herein, sagte irgend etwas auf französisch, das ich nicht verstand, und eilte davon, um sofort danach mit einem Essen aufzutauchen. Ich aß, mußte mich aber erbrechen. Irgendwann bekam ich heraus, daß ich seit mehr als vierundzwanzig Stunden geschlafen hatte, daß eine gewisse Minna dagewesen, dann aber wieder gegangen sei. Ich versuchte erneut zu essen, und diesmal glückte es. Ich fühlte mich etwas besser. Der Arzt kam, untersuchte mich und befand, daß ich erhebliche Fortschritte machte.
»Kann ich ein Telefon haben?«
Er sah mich sehr aufmerksam über den Rand seiner Brille an und nickte dann langsam wie ein Gelehrter.
»Ich lasse Ihnen das Telefon bringen.«
»Ich brauche eine bestimmte Nummer in Versoix. Können Sie mir die besorgen? Der Mann wird nur Padrone genannt, heißt Emilio Vascetto.«
» Der Vascetto?« fragte er erstaunt.
»Wahrscheinlich der. Irgendein Mafia-Heini.«
Er starrte mich an und lächelte dann. »Wenn Sie Vascetto als Mafia-Heini bezeichnen, werden Sie soviel Prügel beziehen, daß ich Ihnen nicht mehr helfen kann.« Er schüttelte den Kopf und ging. Eine Krankenschwester brachte mir das Telefon und eine Nummer auf einem Zettel. Es war sechs Uhr am frühen Abend, ich rief sofort an.
»Hier ist Baumeister, Siggi Baumeister. Kann ich den Padrone sprechen? Es ist dringend.« Ich machte es ganz lässig, keine Hast.
»Allo? Allo?«
Ich wiederholte und setzte hinzu: »Ich soll schöne Grüße von Paolo Maggia bestellen.«
»Von wem, bitte?«
Es war eine Frau. Ich wiederholte: »Grüße von Paolo Maggia.«
»Den Padrone, wirklich?«
»Wirklich«, seufzte ich. »Wenn er von Paolo Maggia hört, wird er mich sprechen wollen.«
»Na ja«, sagte sie vage. Dann klickte es, und jemand fragte in blütenreinem Deutsch: »Ich höre immer nur Paolo Maggia.
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