Reise ohne Ende
ihm fehlen würde, wenn sie so lange von ihm weg war. Er verspürte eine fast egoistische Freude bei der Nachricht, daß sie sich nicht zu trennen brauchten. Auf der andern Seite fragte er sich aber auch, was das für eine Angelegenheit war, die ihr so wichtig erschien, daß sie dafür die Regeneration ihrer verstümmelten Hand weiter hinausschob. Sie machte keinen Ansatz, es ihm zu erzählen, und er fragte sie nicht.
Er sah, wie sie technologische und medizinische Zeitschriften wälzte; darüber hinaus verbrachte sie viel Zeit im Regenerationszentrum, aber er wußte nicht, warum sie das tat.
Sie hatte schon immer viel Zeit für Lektüre und intensive Beschäftigung mit ihren ausgewählten Spezialgebieten verwendet – er vermutete, daß sie im Lauf der Zeit von der Biologie zur Medizin überwechseln würde –, aber bis sie hier gelandet waren, hatte er irgendwie immer das Gefühl gehabt, daß ihr übermäßiges Interesse an der Regenerationstechnik zumindest zum Teil eine Methode gewesen war, ihm Schuldgefühle für die Verzögerung bei der Rettung ihrer Hand einzuflößen. Nun wußte er, daß das nicht der Fall war – was aber konnte sonst dahinterstecken?
Einmal hatte er sie fast scherzhaft gefragt: „Ich habe den Verdacht, daß du hinter Gilbans Job her bist. Chefärztin Gilmerrit?“ Sie hatte gelacht und es nicht abgestritten, aber das war alles.
Auch sie nahm an der Konferenz teil, in der die Leitung des Schiffs den Kauf weiterer Kinder diskutierte. Die Puhbären waren ohne Ausnahme dafür, da in der Kinderstation keine Kleinen mehr zu betreuen waren. Gilmerrit war die erste, die sich dagegen aussprach.
„Meiner Ansicht nach sollten wir damit warten“, sagte sie.
„Wir werden für mindestens ein Jahr, vielleicht sogar mehr, hierbleiben. Die DNS-Modifikationen können erst kurz nach dem Abflug vorgenommen werden. Für die Techniken, die wir zur Zeit einsetzen, muß das Kind in freiem Fall und im Weltraum aufwachsen, wenn es voll zum Späher mutieren soll.
Wenn wir uns jetzt neugeborene oder… gebrütete Kinder holen, sind sie für die DNS-Modifikationen zu alt, wenn wir diese Welt hier hinter uns lassen.“
Gilrae sah zum Chefarzt hinüber. „Gilban?“
„Beim Stand der gegenwärtigen Technologie hat Merrit recht“, sagte er. „Auf Basis habe ich gehört, daß die Wellenkrone eine Gruppe von Fünfjährigen aufgenommen hat, weil ihre Mannschaft zu knapp war. Sie hatten gehofft, sie könnten so die Zeit verkürzen, bis sie das nötige Alter für den Dienst auf dem Schiff erreicht hatten. Kein einziges von den Kindern hat überlebt.“
Gilrae sagte ruhig: „Wir brauchen nicht zu warten. Die Mannschaft der Wellenkrone will sich mit uns zusammentun –
und sie ist neunundzwanzig Leute stark. Damit hätten wir eine Mannschaftsstärke von mehr als sechzig. Wir könnten im Verlauf des nächsten Monats abheben, wenn wir das wollten –
mit einer Gruppe von Kindern für die Kinderstation. Damit hätten wir zum erstenmal seit Jahren unsere volle Sollstärke.“ Ein Gewirr von Stimmen – teils ablehnende, teils zustimmende
– erhob sich. Sie hob die Hand. „Wir brauchen die Entscheidung nicht sofort zu treffen“, sagte sie. „Darüber müssen wir abstimmen. Denkt darüber nach. Wir berufen später noch eine weitere Konferenz ein und entscheiden uns dann. Bevor ihr eure Entscheidung fällt, denkt aber daran, daß die Alternative dazu wahrscheinlich die völlig Aufgabe ist.
Heute abend findet der förmliche Empfang beim Ratsvorsitzenden statt. Die Teilnahme daran ist nicht Pflicht, aber die Leute von Laszlo hier waren sehr freundlich zu uns, und deshalb finde ich, niemand sollte ohne einen guten Grund fehlen.“
Ramie holte ihn im Gang ein. „Doran, hast du das mit der Wellenkrone gehört? Du warst anscheinend nicht besonders überrascht, als Rae das vorgebracht hat.“
„Ich habe schon auf Basis davon gehört“, sagte Gildoran.
„Das könnte die Antwort sein“, sagte Ramie. „So könnten wir alle zusammenbleiben.“
„Aber Fremde… auf der Samtfalter…“
„Das wären keine Fremden. Das sind Späher. Wie wir.“
„Es wäre besser, wenn es Fremde wären“, sagte Gildoran hilflos. „Wir könnten es lernen, uns an sie anzupassen – und sie sich an uns –, wie wir das auf Planeten bei Fremden tun. Aber die Mannschaft eines fremden Späherschiffs… mit ihren eigenen Traditionen… wie wir und doch nicht wie wir –
ehrlich gesagt glaube ich nicht, daß das funktionieren
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