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Reise zu Lena

Reise zu Lena

Titel: Reise zu Lena Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alfred Neven DuMont
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ich nun durch unsere Blutsbande mit dieser Person unauflöslich verbunden oder vielmehr mit Lena, die mir bis zum heutigen Tag die wahre Mutter war und ihre Wärme, ihr Verständnis mit ihrer tiefen Seele mir in all den Jahren weitergegeben hatte? Wie sollte ich, eine gerade Fünfzehnjährige, mit so einem Zwiespalt fertig werden?
    Lena war verändert. Dies, obwohl mir doch die Frau versichert hatte, sie sei für einige Tage verreist, nicht in unserer Stadt. Ob sie mir die Wahrheit gesagt hatte? Ob Lena mir wieder etwas verschwieg? Ich wollte sie nicht fragen, aus Stolz, aus Ängstlichkeit.
    Bei dem nächsten Treffen mit der Frau waren wir, wie vereinbart, tatsächlich allein. Wir begrüßten uns einfach so, mit Handschlag, ohne weitere Umstände. So wie zwei gegnerische Parteien, die Waffenstillstand vereinbart hatten. Die ersten Theatereffekte waren wohl vertan. Ich trank eine Schokolade und aß dazu ein kleines Eis, aber ohne Sahne, da ich bereits in dem Alter war, auf meine Figur zu achten. Dies war das Erste, was sie mir mitteilte:
    >Du hast ganz meine Figur geerbt, groß, schlank, sexy, mit einem hübschen Gesicht und tollen Haaren. Wir gleichen uns wie ein Ei dem anderen.<
    Ich ging darauf nicht ein, stellte, um etwas Nettes zu sagen, anerkennend fest, dass sie zwischenzeitlich beim Frisör gewesen sei, eine Bemerkung, die sie zu einer längeren Ausführung veranlasste:
    >Du hast recht, mein Liebes, es war auch höchste Zeit, findest Du nicht auch? Du musst wissen, dass ich meine Haare, so sehr liebe ich sie, nur einem bekannten Coiffeur in Paris überlasse, einem wahren Meister, der mich mit ständigen Komplimenten überschüttet. Ich glaube, er möchte mich herumkriegen.< Und dabei kicherte sie:     Nun, ich habe gelernt, bescheiden zu sein. Kleine Herberge, Bistros um die Ecke, daneben ein niedlicher Laden, wo Du schnell einen hübschen Fummel besorgst, in dem Du toll aussiehst. Und dann gibt es immer noch den einen oder anderen alten Freund mit Portemonnaie, der mich groß ausführt, in die Oper, in ein DreiSterne-Restaurant. Ach, alles ist so herrlich, wir sollten auf alle Fälle mal zusammen hinfahren. Ich lade Dich ein, na ja, wenn ich gerade mal flüssig bin. Sonst jeder auf eigene Kasse, wobei sich Mutter und Tochter ja niemals gegenseitig im Stich lassen.<
    Sie atmete glücklich durch.
    Ich sagte grimmig:
    >Du hast mich im Stich gelassen!<
    Sie sah zur Seite und fing sich an, die Nase zu pudern.
    >Ich habe gesagt: Du hast mich im Stich gelassen<, stieß ich mit lauter Stimme nach. Es war das erste Mal, dass ich die Frau mit Du ansprach.
    Ihre Miene verdüsterte sich, dann nahm sie ihre Arbeit mit der Puderquaste wieder auf, das Resultat beobachtete sie sehr aufmerksam durch einen kleinen, verzierten Spiegel. Nebenbei bemerkte sie:
    >Ich hasse es, wenn meine Nase glänzt. Dafür solltest Du Verständnis haben. Gut, wenn man jung ist . . .<
    Ich klopfte mit dem Knöchel auf die Glasplatte, die uns trennte, und sah die Frau streng an. Wieder verging eine Minute. Die Beschäftigung mit der Puderquaste hatte sie eingestellt. Dann sah sie mich wieder an, sagte ruhig, fast gelassen:
    >Kleines, Du hast meinen sturen Charakter geerbt: Du wirst im Leben anecken, aber zugleich Dich gut durchsetzen. Was hattest Du noch einmal gesagt?<
    Ich warf den Löffel für das Eis, den ich in der Hand hielt, auf den Tisch, was auf der Glasplatte ein klirrendes Geräusch erzeugte, und erhob mich ruckhaft, wobei ich nach meiner Tasche griff.
    Blitzschnell zischte sie:
    >Also gut, Du hast recht. Ja, Du hast recht, recht, recht! Aber warum so eine Aufregung? Bitte setz Dich wieder. Ich habe Dir ausführlich erklärt, wie sehr mir die Entscheidung von damals leid tut, so sehr, dass ich noch heute unter der Zwangssituation, unter der ich stand, leide. Aber eigentlich solltest Du Dich in meine Situation einfühlen können: Ich war damals nur wenige Jahre älter als Du und hatte eine großartige Karriere als Tänzerin vor mir. Ich war überwältigt von der Bühne, den Scheinwerfern, die auf mich gerichtet waren, vom Publikum, vom rauschenden Applaus! Denk Dich da

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