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Reise zu Lena

Reise zu Lena

Titel: Reise zu Lena Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alfred Neven DuMont
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kleine Zettelchen, die durch unseren Bungalow flatterten. Später bediente sie sich dieser Art Tagebuch, um niederzuschreiben, was sie bewegte. Sie hat die Zettel, die bald überall herumlagen, nie mehr angeschaut, während ich die Zettel sorgfältig in einem Kästchen aufhob. Einer lautet:
    >Die Sache fing mit dem Fisch an, so glaube ich wenigstens. Das große dunkelbraune Ding kam aus einem Schlund herausgeschwommen, den man Tunnel nennt, und schaute mich mit einem Anflug von Überheblichkeit aus seinen kleinen sorgenvollen Augen an. Zu Recht. Ist er doch hier schließlich zu Hause und ich nur ein bestenfalls geduldeter, vorüberziehender Eindringling, der für nichts gut ist und letzthin nur seinen Frieden stört. Er schien fast so lang wie ich zu sein, aber sicher übertreibe ich maßlos, denn unten im Wasser sieht alles viel größer aus. Also gut: Sagen wir, er hatte bestenfalls die Länge meiner Beine. Dabei war er von einer wunderschönen Schlankheit, die ihm eine besondere Behändigkeit verlieh. Wir schwammen eine Zeitlang nebeneinander, ich von dem Vorzug, den der Fisch mir verlieh, ganz beseelt. Eigentlich bewegte ich mich etwas hinter ihm, er erlaubte mir für eine begrenzte Zeit sein Gefolge zu sein. Ich bewunderte die wuchtigen Streifen an seiner Seite und seine eleganten Bewegungen.
    Ich hob die Hand, wollte ihn wissen lassen: Dir, guter Freund, alles Gute! Bleibe am Leben! Vor allem hüte Dich vor den Menschen, lass Dich nicht einfangen! Ich dachte auch: Warum bin ich kein Fisch? Wie viel glücklicher wäre ich. Dann würde ich den Fisch, den ich begleiten durfte, zum Mann nehmen, sicher war er ein Mann, und ihm treu sein und unendlich viele winzige Fischlein zur Welt bringen. Das Leben unter der Oberfläche erscheint mir leichter, einfacher, ohne die grässlichen Lasten, die sich die Menschen auf ihre Schulter geladen haben. Warum nehmt Ihr mich nicht auf in Euer heimliches Reich? Ich wollte, ich könnte tauchen und tauchen, immer weiter in die Dunkelheit des Meeres, tiefer und tiefer, wo es still und stiller wird.<
    Der schönste Tag kam für uns, als ein mächtiger Stachelrochen wie ein Ufo majestätisch wenige Meter über uns dahinzog. Die gewaltigen, weit ausgreifenden Schwingen zum Greifen nahe. Wir schwammen für eine Weile unter seinem Schatten. Noch Stunden nach dem Erlebnis, bereits zurück auf unserem Boot, konnte Glorie ihre Begeisterung kaum zähmen, immer wieder umarmte sie George und mich. Das war der Tag, an dem ich dachte, dass wir nun endgültig, ein für alle Mal, alle Probleme hinter uns gelassen hätten.
    Nach Hause zurückgekehrt, wurden wir für unsere schöne Reise bitter bestraft. Glories Zustand verschlechterte sich gleich vom ersten Tag an, so sehr, dass uns nach vielen Beratungen, Tränen und Verzweiflung nichts anderes mehr blieb, als sie abermals in die Klinik einzuliefern. Ann, die stärkste von uns, hatte darauf bestanden, Albert war sprachlos, mit versteinerter Miene. Auch mir selbst war es nicht mehr gelungen, mit Glorie ins Gespräch zu kommen. Apathisch ließ sie alles mit sich geschehen. Ach, wären wir doch auf dieser abgeschiedenen Insel bei George geblieben! Einmal schaute mich Glorie bedeutungsvoll an und zog ihre ausgestreckte Handfläche langsam vor ihrer Kehle vorbei. Das war das geheimnisvolle Zeichen: Notfall, Notfall!
    An dem Tag, als sie in der Wohnung abgeholt wurde, vermochte ich keinen Schritt mehr zu gehen, die Füße versagten mir ihren Dienst.
    Glorie schaute mich bedeutungsvoll an und zog zu meinem Entsetzen ihre ausgestreckte Handfläche wieder langsam vor ihrer Kehle vorbei. Sie schnallten sie auf eine Trage und fuhren sie hinaus. Ich dachte, ist das ein Abschied für immer? Aber Glorie, die Gedanken an sie, hielten mich am Leben.
    Eine Ewigkeit verging, bis wir sie wiederbekamen. Wir fuhren hinauf ins Wallis, Glorie, Ann, Albert, ich. Ein Arzt begleitete uns, ein kluger, erfahrener Mann, der täglich mit ihr lange Gespräche führte: Erwin war wieder aus der Versenkung aufgetaucht, unverdrossen. Scheinbar konnte ihn nichts umwerfen. Aber mit Glorie hatte er keinen Erfolg, sie blieb unnahbar, innerlich leblos, ein kleines Lächeln, wenige Worte waren alles. Als Erwin und die Eltern uns verlassen hatten, endlich, folgten zwei, drei versöhnlichere Wochen. Sie ging mit mir die alten Wege hinauf in die Berge, ein Stück wenigstens. Wir freundeten uns mit den eigenwilligen Bergziegen an, die hinter uns hersprangen und mit ihren lustigen Gesichtern

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