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Reise zum Rand des Universums (German Edition)

Reise zum Rand des Universums (German Edition)

Titel: Reise zum Rand des Universums (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Urs Widmer
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zwei Soldaten aus Franzjoggis Spielzeugarmee) in den Tod stürzen. Die Kabine hing blockiert über dem Ährenfeld, und wir mussten das Tragseil kappen, um sie zu befreien. – Noch länger beschäftigte uns der Bau eines Elektromotors, dessen Bauplan wir dem Helveticus entnahmen und den wir auch nie zum Laufen brachten. Die Wicklungen aus Kupferdraht misslangen mir so, dass sie, statt glatt nebeneinanderzuliegen, wie auf einer Gabel aufgerollte Spaghetti aussahen. Das Ganze war auf einem Holzbrettchen montiert, und eine Nescafé-Büchse spielte auch eine Rolle. Als wir den Motor unter Strom setzten, ein einziges Mal, rauchte er ein bisschen und stank. Auch haute es die Sicherung raus. – Ich sagte zu Franzjoggi, der eigentlich Franz Jakob hieß, immer nur Migger, und er sagte ebenfalls Migger zu mir. Zwei Migger, ein Herz und eine Seele. Migger war drei oder gar vier Jahre älter als ich, aber ich spürte keine bedeutsamen Unterschiede zwischen uns. Er ermöglichte mir, um Jahre älter zu werden als ich es allein war, und ich erlaubte ihm, hemmungslos so ein Kindskopf zu sein wie ich einer war. Beim ersten Treffen – ich vermag mich nicht zu erinnern – soll er am Gartenzaun gestanden, meine Mutter ins Auge gefasst und mit einem tiefernsten Gesicht gesagt haben: »Du hast einen Kopf wie ein Kabis.« Ich neben meiner Mutter, nicht älter als zwei Jahre. Meine Mutter, deren Kopf nichts Kohlartiges aufwies, freute sich über das Kompliment, und Migger wurde ein ständiger Gast bei uns. Er nahm mich in die weite Welt mit, in die hineinzugehen ich bis dahin nie erwogen hatte. Die fernen Häuser, die Wälder, die Wiesen, die Gärten: Dass ich da hingehen könnte, ich, selber, allein und einfach so, das war ein undenkbarer Gedanke gewesen. Mit Migger schlich ich durch alle Gärten, ging über die Felder, in den Furchen zwischen den Kartoffeln und zwischen Löwenzahnblüten oder Mohn durch die Wiesen, bestieg den Kirschbaum neben dem Hundezwinger – Carino hilflos zu mir hochbellend – und auch die bezwingbaren Äste des Nussbaums. Ich trat jetzt selber Labyrinthe, in die Maisfelder nun aber!, und fürchtete mich trotzdem, wenn ich raschelnd und rauschend zwischen den hohen Stauden ging, in denen ich ja tatsächlich einem Wildschwein begegnen konnte. Wir lauerten am Steinmäuerchen von Herrn Kramers Garten Eidechsen auf, die so scheu waren, dass ein kleines Hauchen, ein Augenblinzeln genügte, sie in ihre Steinhöhlen zurückzuscheuchen. Ihr Kopf, ihre aufmerksamen Augen. Auf den Seiten des Halses pulsierte das, was ich für das Herz der Eidechse hielt. Manchmal traute sich doch endlich eine ins Freie, und ich versuchte, sie mit einem schnellen Griff zu erhaschen. Es misslang mir immer, glaube ich. Gewiss jedenfalls machte ich die Erfahrung, dass Eidechsen in Not tatsächlich ihren Schwanz abkoppeln können. Schwänze fingen wir nämlich einige, Migger und ich. Nur keine ganzen Eidechsen. Da saßen wir dann, wir Wilderer, mit einem Schwanzstummel in der Hand, dessen Schuppen, als wir sie unter einer Lupe ansahen, denen eines Drachen glichen. – Wir aßen die reifen Kirschen auf den noch nicht abgeernteten Bäumen, und einmal, Ehrenwort!, schoss der Bannwart auf uns mit dem Schrotgewehr, besoffen grölend und die Arme verwerfend. Wir rannten davon wie die Hasen. Ich wusste ja, was der Bannwart (»Bammert«) mit Buben machte, die er angeschossen hatte. Er nahm sie an den Beinen und schlug ihre Köpfe so lange gegen die Ackerschollen, bis sie tot waren.
    Der Garten der Villa von Herrn Kramer war ein Herzstück unsrer Spiele. Nämlich, Herr Kramer – ich weiß bis heute nicht, warum das so war – war nie zu Hause, tagsüber jedenfalls sicher nicht, und also gehörte der wunderbar verwilderte Garten uns. Wir konnten in ihm sogar ungesehen Nielen rauchen. Eine dichte Buchsbaumhecke verbarg uns. – Herr Kramers Garten grenzte an einen andern, der nun allerdings prächtig aufgeräumt und voller exotischer Blumen war und in den wir uns nie hineingetrauten. Erstens, weil die Nachbarin, im Gegensatz zu Herrn Kramer, immer zu Hause war – so kam es uns jedenfalls vor –, und zweitens, weil sie uns Angst und Schrecken einjagte. Wir hielten sie für so etwas wie eine Zauberin oder eine Hexe. Sie hatte ein stolzes Gesicht, eins aus einer andern Welt als der unsern (Adel, oder ein Feengeschlecht aus alten Zeiten), und trug weiße Kleider. Sommer und Winter: weiß. Sie hatte, in der respektlosen Sprache meines Vaters, eine Meise;

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