Reise zum Rand des Universums (German Edition)
Holiday, in dem Audrey Hepburn mit Gregory Peck die Liebe entdeckt. Die Liebe und das Vespa-Fahren, das sehr bald auch in meinem Leben eine große Rolle spielen sollte. (Wenn ich einmal in einen Gegenstand verliebt gewesen sein sollte, dann war es meine erste Vespa.) Jedenfalls, ich hatte mit Audrey Hepburn meinen ersten Orgasmus. Nicht im Kino, das dann doch nicht. Es war so: Ich stehe in der Mitte meines Mansardenzimmers (im nächsten Haus längst), erhitzt, ohne zu wissen, warum, blind nach außen, dafür umso erregter nach innen schauend, ins Hirn, wo ich Audrey Hepburn sehe, meiner Erinnerung nach nicht einmal nackt, sondern so, wie sie im Film war. Hinreißend, entzückend. Wir schauen uns lange an, gegenseitig, ich in diese braunen Rehaugen, sie in meine. Ihr Lächeln. Und plötzlich spüre ich, dass ich pinkeln muss wie noch nie (dringend, imperativ), fliege die Treppe hinab bis ins Klo, kriege auch die Hose noch auf, und dann entlädt sich mit ungeheurer Wucht (Lust, denke ich heute) etwas, ein Ereignis, das ich im Augenblick, da es geschieht, nicht im Geringsten verstehe. Es ist auch nicht der Augenblick zu denken. Es spritzt aus mir, wieder und immer wieder und noch mal. Das ganze Klo ist verspritzt, und es ist ein Wunder, dass der weiße Schmier es nicht bis zur Decke hoch über mir geschafft hat. – Ich knöpfte die Hose zu, wischte alles sauber und stieg in meine Mansarde zurück. Ich glaube, ich hatte dann doch eine Art Ahnung, was mir eben geschehen war. – Es kann im Übrigen doch sein, dass ich da zwei Erlebnisse verbinde – erstes Mal, Audrey Hepburn –, die nicht zusammengehören. In dem Bücherregal in meinem Zimmer – das mein Vater ganz für sich in Anspruch nahm; meine Bücher lagen irgendwo herum – gab es nämlich auch einen Stapel mit Fotojahrbüchern. Die besten Fotos des Jahres, schwarzweiß alle. Mein Lieblingsband war der von 1938, weil das mein Geburtsjahr war vielleicht, sicher aber, weil darin eine nackte Dame (eine Dame, das war sie auch ganz ohne Kleider) auf einem Seidentuch lag. Ein Akt, un nu, perfekt ausgeleuchtet. Die Dame lag auf dem Rücken, ein Bein gerade, das andere angewinkelt. Die Arme ausgebreitet auf der kostbaren Unterlage. Sie schaute zur Seite hin, nicht zu mir. Sie erregte mich wie eine Sucht, und es kann sein, dass sie meine Erste war, nicht Audrey. Ich holte das Fotobuch jedenfalls immer wieder hervor und fand die richtige Seite auf Anhieb. – Auf der Seite davor war ein Kind in seinem Sarg. Blass, klein, tot. Dieses Bild wollte ich nicht sehen und warf, die Dame suchend, doch jedes Mal einen schnellen Blick darauf. – In unserem religionsfernen Haus gab es weder Sünde noch Hölle. Aber ein Gefühl der Schuld hatte ich trotzdem, dass ich jeden Tag, jede Nacht eher, meinem Trieb seinen Auftritt erlaubte. Dass ich ihm derart ausgeliefert war. Ich hatte ein kompliziertes System aus Frotteetüchern, die ich heimlich wusch und hinter Koffern verborgen im Estrich trocknete. – Ich brauchte eine Weile, um zu begreifen, dass man den Trieb nicht loswerden kann. Er ist treu, er hat mich seither keinen Tag verlassen, er begleitet mich bis heute. Er macht noch immer, was er will.
ICH musste auch gleich wieder in die Schule. Mir fehlte noch ein kleines Stück Primarschule – so etwas wie ein halbes Jahr –, das sich aber als eine Wegstrecke erwies, die schwerer als die dreieinhalb Jahre auf dem Bruderholz zu bewältigen war. Das Schulhaus war ein finsteres Gebäude am Erlensträßchen. Nur Buben. Der Lehrer hieß Herr Lachenmeier, ein dürrer Mann, den ich nie habe lachen sehen. Überhaupt wurde an dieser Schule nicht gelacht. Herr Lachenmeier griff immer wieder einmal zu einer langen, schwarzen Holzlatte, auf der Zahlen standen und die dafür gedacht war, zusammen mit andern ähnlich gestalteten Leisten immer neue Rechenaufgaben zu kombinieren (28 x 12 = ?), und hieb den Unbotmäßigen unter uns damit auf die Finger. Ich kriegte nie eine Tatze, ich war so eingeschüchtert, dass ich mich kaum rührte. Von da an wurde die Schule etwas Furchtbares, und sie blieb es bis zum Ende meiner Schulzeit. Das halbe Jahr war unendlich. – Ein einsamer Lichtblick war, als zwei meiner Schulfreunde (einer von ihnen Hansi Rotzler?) mich mitnahmen – sie vertrauten mir –, als sie Zucker in den Benzintank von Herrn Lachenmeiers Velosolex taten. Ich war für so etwas zu feige, sah aber mit großer Begeisterung, wie der schreckliche Lehrer nach Schulschluss
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