Reise zum Rand des Universums (German Edition)
davontuckerte. Zuerst fuhr er triumphal wie immer, hochaufgerichtet im Sattel, aber als er vorn beim Polizeiposten war, immer noch in unserm Blickfeld, begann der Motor zu stottern und gab auf. Herr Lachenmeier stand erst ratlos neben seinem Vehikel und versuchte dann, mit wilden Pedaltritten den Motor wieder zum Laufen zu bringen. Vergeblich. Wir waren inzwischen bei ihm, und Hansi Rotzler sagte: »Probleme, Herr Lachenmeier?« Ich versteckte mich hinter ihm und sah über seine Schulter hinweg das rotglühende Gesicht Herrn Lachenmeiers. – Das war Glück, das war so etwas wie Glück. – Jahre später, als ich längst einen Citroën 2 CV besaß, fuhr ich vor dem Kunstmuseum der Wettsteinbrücke entgegen, als ein Mann mir unvermutet vors Auto rannte. Herr Lachenmeier, den ich erkannte, während mein Fuß schon aufs Bremspedal drückte, so kräftig er nur konnte. Ich spürte, während ich weiterbremste, fern, fern in mir die Versuchung, diesen elenden entsetzlichen bösartigen Herrn Lachenmeier über den Haufen zu fahren. Wenn er schon so saublöd auf die Straße rannte. Ich tat es nicht, und Herr Lachenmeier überlebte. Er hatte die Gefahr, in der er geschwebt hatte, kaum richtig erkannt und hastete in die Rittergasse hinein, zum Münster hin.
IN dieser Rittergasse – ich erledige jetzt das Thema Schule ein für alle Male; und dann sprechen wir nie mehr von ihr – war dann auch meine nächste Schule, das Realgymnasium. Die Schule, in der auch mein Vater Lehrer war. Er war aber nie mein Lehrer, Gott sei Dank nicht. Es war peinlich, der Sohn eines Lehrers zu sein (andere Väter waren Bahnhofsvorstand, Kantonsgeometer, Chemiker), und die eine Stunde, in der er einmal für einen erkrankten Kollegen einsprang und lustige Geschichten erzählte – alle andern bogen sich vor Lachen, nur ich nicht –, war eine einzige Schamüberschwemmung. Mein Vater machte den Kasper, und meine Mitschüler fanden das auch noch komisch. – Ich war ein elender Schüler, vor allem in den mathematischen und naturwissenschaftlichen Fächern. Dies auch, weil ich ein hochneurotisches Verhältnis zu Hausaufgaben hatte und bald einmal einen Sport daraus machte, ganz ohne Schulmappe in die Schule oder nach Hause zu gehen: So waren die einen Schulbücher oder Hefte unterm Pult im Klassenzimmer (1b bis 8b), die andern bei mir zu Hause. Nie waren die, die ich für die Hausaufgaben benötigt hätte, da, wo sie sein sollten. Ich vermisste sie auch gar nicht, ich erledigte die unabweisbar notwendigen Arbeiten in der Schule, während der Lehrer schon hereinkam, mit Hilfe meiner Schulfreunde, deren Gunst ich merkwürdigerweise nie verlor. Dabei war ich auch sonst die Pest. Vorlaut, frech und blöd auch für die, die mich mochten. Einzelne Lehrer konnten mich verständlicherweise nicht ausstehen, am deutlichsten der Klassenlehrer, Herr Dr. Bäschlin, der uns sowohl in Englisch als auch in Deutsch unterrichtete – und in Geschichte auch noch! – und mir im zweitletzten Schuljahr eröffnete, er werde nie mehr mit mir sprechen, nie mehr, und das auch durchhielt. – Zuvor war mein Deutschlehrer Herr Graber gewesen, Rudolf Graber, der ein Schriftsteller war, ein Dichter, und die Fährengeschichten geschrieben hatte, die in Basel ein jeder kannte. Ihn mochte ich – ich war ein Bub; noch kein Schnösel –, und er gab mir jeweils die Aufsätze mit einem Augenzwinkern zurück, das ich als ein heimliches Zeichen des Einverständnisses unter Eingeweihten deutete. Als wüssten wir beide etwas, wovon die andern keine Ahnung hatten. Ich musste oder durfte meine Aufsätze jedenfalls oft vorlesen, und Rudolf Graber verdanke ich jene Textdramaturgie, die heute noch tief in mir wirksam ist. Rudolf Graber war für das Lebendige. Ein Schulaufsatz – zum Beispiel »Der erste Ferientag« – durfte nicht so anfangen: »Als am frühen Morgen der Wecker klingelte, wälzte ich mich schläfrig aus dem Bett«, sondern so: »Brrr, klingelte der Wecker. Freudig sprang ich aus dem Bett und begrüßte den jungen Tag mit einem Juchzer.« Ich beherrschte die Technik des Lebendigen bald perfekt. »Hurra, rief die Mutter. Du darfst heute endlich wieder in die Schule!« Wenn wir vor der Klasse Gedichte aufsagten – wir lernten viel auswendig –, konnten wir wählen, ob wir »ohne Gebärden« oder »mit Gebärden« rezitieren wollten. Ohne Gebärden, das war der Text, nur der Text, ohne eine Betonung, die einen Sinn machte, und schon gar nicht mit Bewegungen der Hände oder
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