Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Reise zum Rand des Universums (German Edition)

Reise zum Rand des Universums (German Edition)

Titel: Reise zum Rand des Universums (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Urs Widmer
Vom Netzwerk:
denn auch einen Apfel kann man schneller, langsamer, schöner, vollständiger als die andern essen. – Bei Reto und Franco (dem Ex-Ginggi) schlug das auch an, sie wurden beide Spitzensportler, Skifahrer von Gottes Gnaden, und Franco raste die Skeletonbahn in St.   Moritz in Rekordzeiten hinunter. Er war, glaube ich, auch Weltmeister im Windsurfen. Jedenfalls ging er auf den See von Silvaplana, wenn die andern Cracks ihn entmutigt verließen, weil die steife Maloja-Brise ein veritabler Sturm geworden war. Da fegte er dahin, schräg über dem gischtenden See hängend und auf dem Brett von Welle zu Welle klatschend. – Ja, es war schön, wunderbar, dass Delia mich zum Auf-die-Berge-Steigen verführte. Ich wurde einfach nie der Erste und lernte, ohne allzu großen Schmerz der Zweite oder Letzte zu sein. – Delia wusste immer den rechten Weg. Es gab auch dann nur einen richtigen Weg – den, den Delia ging –, wenn alle andern Wege auch zum Ziel geführt hätten. Und wenn ich mit meiner Mutter loszog, die vertrauten Touren allein zu machen – Piz Campascio, Lagalb, Gessi –, werweißte diese unablässig, ob wir jetzt tatsächlich richtig gingen oder ob die Kante dort doch nicht eher die sei, die Delia gewählt hätte. So war Delia auch dabei, wenn sie nicht mit uns war.
    Einmal war in der Nacht eine große Unruhe im und vor dem Haus. Lichter, huschende Gestalten, ein Auto mit brennenden Scheinwerfern und laufendem Motor, als ich aus dem Fenster sah. Ich ging vors Haus – im Nachthemd, mit meinem Anorak um die Schultern –, und es stellte sich heraus, dass Fritz und Loris eben, mitten in der Nacht, zwei verunglückte Engländer aus der Südwand des Corno di Campo geholt hatten. Die Engländer waren jetzt im Spital, und Fritz und Loris rollten Seile zusammen und räumten Haken und Pickel und Lampen in die Garage, Fritz wortlos hantierend, während Loris Delia das ganze Rettungsdrama schilderte, und damit auch mir. Auch für ihn war Fritz ein Ideal, und also versuchte er so ruhig wie möglich zu sprechen, japste aber an den paar extremen Stellen der Schilderung doch aufgeregt. Wie er, mit der Stirnlampe den Fels ableuchtend, den ersten Engländer, der ein Bein und mehr gebrochen hatte, abseilte, während Fritz weiter oben den zweiten Engländer sicherte, der ein zermatschtes Gesicht hatte. Wie sie den beiden, im Abgrund hängend, Schmerzspritzen gaben, durch alle Kleider hindurch. Auch Delia war im Nachthemd: Sie trug noch nicht einmal einen Anorak und war viel zu erregt, um zu frieren. Wenn sie nur dabei gewesen wäre! Das wäre etwas nach ihrem Geschmack gewesen! (Nach meinem auch.) Fritz war nun fertig und ging schweigend die Treppe zum Haupteingang hoch, während Loris in den Wagen kletterte, einen Jeep oder so etwas, und davonfuhr. Auch Delia ging grußlos, und ich rannte ums Haus herum und die Hintertreppe hinauf und schlüpfte ins Bett zurück. – (Loris war der Bruder Delias und Leas. Er war, wie ich in dieser Nacht begriff, ein guter Alpinist, ein sehr guter offenbar, aber er war, anders als Fritz, dem genussvollen Leben zugetan. Frauen, Autos. Autos vor allem. Einmal fand auf der Passstraße ein Rennen für Tourensportwagen statt. Ein Bergrennen mit Einzelstart. Jede Minute einer. Der gesamte Verkehr zwischen Poschiavo und dem Ospizio war gesperrt, den ganzen Tag über und aus guten Gründen, denn die Rennwagen fuhren mit jedem möglichen Risiko um die vielen unübersichtlichen Kurven. Mami, Nora, ich und – kann sein – auch Lea und Delia bezogen rechtzeitig einen Aussichtsfelsen hoch über La Rösa, gleich beim Zollhaus von La Motta, von dem aus wir ein schönes Stück der Straße tief unter uns sahen, und dann wieder die Straße ganz nah bei uns, die in einer schier ewigen Kurve rund um uns herum führte und weiter oben hinter Felsen verschwand. Ein Wagen nach dem andern raste, mit heulendem Motor und Staubwolken aufwirbelnd, den Berg hinauf und an uns vorbei. Die Kiesel fegten bis zu uns hoch, und Nora kriegte sogar einen ab, auf den gleichen Daumen wie am Piz Sassal Masone, weinte aber diesmal nicht, begeistert dem um die Kurve schlitternden Übeltäter nachsehend. Die meisten Autos waren Cabrios, ihre Fahrer trugen Rennfahrerbrillen und Lederkappen. Große Startnummern auf den Türen. In der Kurve vor dem Zollhaus stellte es die meisten Wagen quer – die Fahrer wollten das! –, sie schlitterten die Felswand entlang, fassten wieder Fuß und heulten mit verdoppelter Kraft die Rampe hinauf. Weg

Weitere Kostenlose Bücher