Reise zum Rand des Universums (German Edition)
waren sie, Staubwolken noch, die sich langsam lichteten. – Bis dann, weit unten, zwei Autos dicht hintereinander die Kehren hochfegten. Hatte der hintere Fahrer die ganze Minute wettgemacht? Das zweite Auto fuhr gleich schnell wie das vor ihm, in einer so dichten Staubfahne, dass wir es kaum sahen, und so nah aufgeschlossen, dass sein Fahrer die Strecke gut kennen musste, um von der nächsten Kurve – links oder rechts – nicht überrascht zu werden. Zwischen den beiden lagen kaum fünf Meter Abstand. Die Wagen verschwanden im toten Winkel, hinter Arven und Alpenrosenstauden, und tauchten, nah nun und mit röhrenden Motoren, dicht unter mir wieder auf. Ein roter Bugatti vorn, und hinter ihm, zugenebelt, ein Auto, das ich, je näher die beiden kamen, mit immer größerer Sicherheit erkannte. Das war der BMW von Loris! »Loris!«, rief ich, bevor es die andern begriffen hatten. Nun standen wir alle, erregt, und sahen zu, wie der BMW beim Zollhaus drüben ausscherte und hielt. Ihm entstieg tatsächlich Loris, strahlend und mit erhobenen Armen winkend wie ein Sieger. Ich sah ihn mit den Zöllnern lachen. Er hatte, gegen alle Regeln, in La Rösa unten mit laufendem Motor gewartet, bis er einen geeigneten Wagen fand, an den er sich anhängen konnte. Nun kam er auf uns zu, immer noch winkend, ein Bub, dem ein guter Streich gelungen war.)
UND sonst noch? Vieles. Wie ich auf dem Felsen über dem Haus saß und Mundharmonika spielte, stundenlang. Wie meine Mutter die ganze Ferienzeit über sagte, dass wir unbedingt Herrn von Tscharner besuchen müssten (er hatte ein Haus weiter oben am Pass), er würde es uns sehr verübeln, wenn wir nie hereinschauten, und wie dieser Herr von Tscharner, als wir ihn wirklich aufsuchten, sehr höflich war und durchaus froh, als meine Mutter sich nach einer Stunde oder so verabschiedete. Wie, am 1. August, eine lange Zottelreihe mit rotleuchtenden Lampions durch die Nacht nach Agüzon stolperte, eine Alp, von der aus wir bis nach Poschiavo und noch viel weiter sehen konnten – die im Tal unten sahen auch uns – und wo der Holzhaufen fürs Erst-August-Feuer stand, den wir den ganzen Nachmittag über aufgeschichtet hatten und den Claudio Gisep so ungestüm in Brand setzte – das Holz war feucht –, dass die Flammen in die Benzinflasche zurückschlugen, die er in den Händen schwenkte, und der ganze Claudio, einem panischen Irrwisch gleich, mit einem Flammenschweif im Dunkel der Alp verschwand, wo er sich löschen konnte. – Wie der kleine Guidino das einzige Mal, da das Feuer auf unserm Hausfelsen brannte, über die Abgrundkante stolperte – weg war er, ohne einen Laut –, die ganze Steilwand hinunterstürzte, zwanzig oder dreißig Meter, und alle schreiend und heulend nach unten rannten, und wie Guidino verdutzt am Fuß der Wand saß, unverletzt. – Wie, gegen Ende der Sommerzeit, die Veltliner kamen, ein Trupp junger Männer mit sonnenverbrannten Gesichtern, blitzenden Augen und wilden Haaren, und wie sie im allerersten Sonnenlicht schon die Wiese mähten – sie war sehr groß und führte bis beinah zum Fuß der Gessi –, in einem präzise choreographierten Ballett, jeder um einen Sensenschwung versetzt hinter dem andern gehend und die Sensen im immergleichen Rhythmus schwingend, links, rechts, breitbeinig vorwärtsschreitend, und dass so gegen neun Uhr endlich Egidio (»Dschiding«) aus der Tür des Stalls trat, in dem alle schliefen – und durch den, unter der einen Wand herein und unter der andern hinaus, ein Bach floss –, denn Dschiding hatte aus irgendeinem Grund das Privileg, faul zu sein, und also brachte er seinen Kollegen als Erstes das Vesperbrot, so dass er seinen Arbeitstag immer mit einem Imbiss begann und ihn dann damit fortsetzte, dass er O sole mio oder Santa Lucia schmetterte, denn er hatte eine wunderbare Tenorstimme; so lange, bis die Mähder sich erhoben, zu ihren Sensen griffen und »Adesso basta, Dschiding« sagten. – Wie am La-Rösa-Fest Männer, Frauen und Kinder aus dem ganzen Tal aufkreuzten – für einmal war die Straße bis weit den Pass hinauf zugeparkt –, wie die Drei-Mann-Kapelle spielte (Akkordeon, Klarinette, Kontrabass), wie alle tanzten, auf dem Tanzboden im Freien zuerst (auch wir Kinder) und später im Saal des Hotels, wo mein Vater zum eifrigsten Tänzer wurde und sogar mit Schura Fausta walzerte, die doch eigentlich in der Küche sein musste und der er in seiner Begeisterung mit voller Kraft einen Klaps auf den Hintern gab, was
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