Reise zum Rand des Universums (German Edition)
Epoche der unvergleichlichen Schweizer Triumphe. Und ich kann sagen, ich bin dabei gewesen. Ich habe Hugo, Ferdi und Fritz gesehen, mit diesen meinen zwei Augen, in Fleisch und Blut. Einmal alle drei an einer Etappenankunft der Tour de Suisse in Sankt Jakob unten, wo Fritz Schär Zweiter wurde, ohne ernsthaft zu sprinten. Hugo, fast gelangweilt, für einmal hinter ihm, und Ferdi gar trödelte am Ende der Gruppe herum und wurde trotzdem mit der gleichen Zeit wie der Sieger klassiert, der ein Ausländer war, vielleicht Pasquale Fornara oder Raphael Geminiani. Göpf Weilenmann und Emilio Croci-Torti, die getreuen Helfer, waren auch irgendwo, Hugo Koblet sah ich noch einmal an einem Kriterium beim Badischen Bahnhof, das er leichtfüßig gewann und nach dem er mit einer Dame auf der Querstange und einem riesigen Blumenstrauß in einer Hand eine Ehrenrunde fuhr. Noch später taufte er im Cirkus Knie ein Kamel auf den Namen Hugo. Kurz darauf fuhr er gegen einen Baum und war tot. – Am erregendsten war die Tour de France, obwohl sie just während der Sommerferien stattfand – alle Jahre wieder – und ich, isoliert in La Rösa, alle Informationen zwei Tage zu spät kriegte. Hugo fuhr längst im maillot jaune, und ich dachte immer noch, dass es bei ihm in diesem Jahr nicht ganz rund lief. Ich fieberte zeitversetzt mit. Das änderte gar nichts an meiner ungeheuren Erregung, wenn ich meinem Vater den Sportteil der National-Zeitung aus den Händen riss und las, was meine Helden am Col d’Aubisque, am Tourmalet oder auf der Alpe d’Huez angestellt hatten. Diese magischen Namen! Einmal in der Woche kam gar der Tip, eine Sportzeitschrift mit vielen Fotos, auch er mit zwei Tagen Verspätung. Nun sah ich, als sei ich dabei, Ferdi Kübler, wie er verzweifelt am Straßenrand stand, mit einem platten Reifen und einer Pumpe in der Hand, die kaputt war. Oder Hugo, wie er ohne einen Schweißtropfen im Gesicht vor Rik van Steenbergen und Jean Robic den Berg hinauftänzelte.
So fuhr ich auf meinem Rad, Sommer und Winter. Ich war zäh! Ja, es war mein Rad, der Strand, der der weniger Robuste von uns beiden war. Der Sattel gab als Erster auf. Sein Leder fiel in Stücke, so dass die Stahlfedern hervorsprangen und mich in den Hintern stachen; obwohl ich die Lederteile mit Riemen und Klebebändern zu bändigen versuchte. Das ganze Rad ging mehr und mehr aus dem Leim. Es war ja inzwischen auch dreizehn oder sechzehn Jahre alt; mir immer ein Jahr voraus. Der Scheinwerfer leuchtete eines Tages nicht mehr, der Radkasten kratzte bei jedem Pedaltritt, die Schutzbleche lotterten bald. Die Gummiteile des rechten Pedals fielen ab, so dass ich auf dem übriggebliebenen Metallbolzen treten musste, der mehr und mehr in seinem Gewinde wackelte. Ich wagte kaum noch daraufzutreten und trieb das Rad ausschließlich mit meinem linken Fuß voran. Um das linke Pedal wieder nach oben zu bringen, zog ich das rechte – den übriggebliebenen Bolzen – mit dem Rist des rechten Fußes nach oben. Jedes Mal, bei jeder Pedaldrehung. Treten links, hochholen rechts. – Das Kabel der Gangschaltung riss, und ich konnte nur noch im größten Gang fahren. Bei all dem hatte ich ein merkwürdiges Tabu, mein Rad reparieren zu lassen. Gar, es über das Allernotwendigste hinaus zu pflegen. Löcher flicken konnte ich, und Luft in die Reifen pumpen auch. Aber Öl brauchte ich nur im allerhöchsten Notfall, auch weil ich gar keines in der Werkzeugtasche hatte und es mir bei René oder Hanspi Schöpflin ausborgen musste. Vor allem gingen die Bremsen mehr und mehr kaputt. Das eine Bremsklötzchen der Hinterradbremse war plötzlich weg, dann auch das andere. Ich bremste also nur noch vorn. Zuerst haute es mich ein paar Male hin, natürlich, aber dann beherrschte ich das dosierte Bremsen mit der Vorderradbremse bald gut und setzte für die letzten Meter auch die Füße ein. Bald hatte ich nur noch einen Bremsklotz, vorne rechts. Auch da kam ich nie auf den Gedanken, mir neue Klötze montieren zu lassen. Ich weiß nicht, welche Tollheit mich aufforderte, mit diesem sich in seine Einzelteile auflösenden Rad herumzufahren als sei es mein unabänderliches Schicksal. (Erst heute fällt mir auf, dass weder mein Vater noch meine Mutter je einen Blick auf mein Rad warfen und mich fragten, ob ich lebensmüde sei.) Ich fuhr, obwohl ich einen Bremsweg von ein paar Dutzend Metern hatte, um keinen Deut vorsichtiger, im Gegenteil. Ich setzte auf meine Gelenkigkeit und schlüpfte durch die
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