Reise zum Rand des Universums (German Edition)
Weihnachtslaune, streckte meinem in einer Baumkugel gespiegelten Gesicht die Zunge heraus [ein albern dicker Kopf] oder brannte einen Tannast über einer Kerze an [der Duft!]. Mein Vater kam zurück und machte, endlich, einen seiner Witze.)
Die Vorbereitungen für das große Fest waren geheim. Nie sollten wir Kinder denken, dass ein Weihnachtsbaum gekauft und von Mami geschmückt wurde. Wenn es draußen dunkel geworden war, gingen Nora und ich an der Hand unseres Papi spazieren, zwei, drei Male tatsächlich im knirschenden Schnee, und staunten die glitzernden Kerzen hinter den Fenstern jener Nachbarn an, bei denen das Weihnachtskind schon gekommen war. Dann warteten wir im dunklen Esszimmer, bis dieses Weihnachtskind (ich stellte es mir blond, in einem weißen Nachthemd und mit kleinen Flügeln vor) auch bei uns die Geschenke abgeliefert hatte und uns herbeiklingelte (mit einem Silberglöckchen, das nur an Weihnachten benutzt wurde und das das Himmelskind nicht mitnahm, wenn es wieder davonhuschte, wer weiß durch welches Fenster). Wir gingen andächtig durch den ebenfalls nachtschwarzen Korridor ins Zimmer mit dem Baum. Oh, ah, es war wirklich schön, die Kerzen leuchten zu sehen, die Kugeln, den Stern ganz oben und das Engelshaar, das über alle Äste gestreut war. Um den Baum herum lagen die Geschenke. Ungeheure Mengen von Geschenken. Meine Eltern machten an einem Abend, diesem hier, alles gut, was sie das Jahr über schlecht und recht gemacht hatten. Ich packte aus und packte aus (nicht eingepackte Geschenke gab es nicht; sogar Noras neues Fahrrad war hinter ein paar Metern glitzerndem Papier getarnt) und war bald inmitten meiner Geschenke kaum mehr zu sehen. Einer Lokomotive für meine Märklin-Eisenbahn (einer Krokodil, die die Prunklok der Gotthardbahn war). Einem neuen Zwerg, denn auch ich hatte mir einen Zwerg gewünscht. (Ich kriegte einen Vigolette, während Nora einen Lochnas in der Hand hielt.) Einer roten Stationsvorstandsmütze und einer Kelle, mit der ich dem Zug die Fahrt freigeben konnte. Einem braunen Schuco-Auto, das einen echten Rückwärtsgang hatte. Einem Buch (Stopp Heiri, da dure!). Einem Fußball. Und einem Kubikmeter anderer Geschenke, durchaus auch sogenannt nützlicher. Pullover also, ein Pyjama. – Ich hatte auch Geschenke gebastelt, einen buntbemalten Aschenbecher aus Tonerde für Papi und ein Puzzle für Mami, das ich am Abend zuvor auf Laubsägeholz gemalt (eine Mama, ein Papa und zwei Kinder, die sich alle an den Händen hielten) und am Nachmittag, vor ein paar Stunden also erst, zu Puzzleteilen zersägt hatte. Mindestens zehnmal war mir das Sägeblatt aus der Halterung gesprungen, und die Farbe war auch noch nicht ganz trocken gewesen, so dass das Geschenkpapier am Puzzle klebte und Mami, als sie es wegreißen wollte, rote Finger kriegte. – Danach gab es ein Festessen, im Esszimmer und nicht, wie sonst immer, in der Küche, mit einem weißen Tischtuch, den Wedgwood-Tellern, dem Silberbesteck und, für Papi und Mami, einer Flasche Corton Clos du Roi. (»Corton Clos du Roi«, meine Mutter sprach das wie etwas aus, was aus einer Welt kam, in der es noch Sonnenkönige gab.) Wir Kinder kriegten Apfelsaft. Allerlei Fischiges, das meiner Mutter vorbehalten war. Crevetten, geräucherter Lachs, auch eine Minidose falscher (später sogar echter) Kaviar, den meine Mutter mit heiliger Andacht löffelte. Ihr schönstes Weihnachtsgeschenk war, wenn ich mich fürs Servieren des Horsd’œuvre in einen Kellner verwandelte, einen Diener, und sie unendlich korrekt bediente. Eine Serviette über dem angewinkelten linken Arm. Die Speisen von links, der Wein von rechts. Sie nahm dann, stilsicher, winzige Portionen von allem, legte das Besteck zurück und nickte mir so zu, wie dies eine Dame von Welt, die ein gutes Herz hat, einem Mundschenk gegenüber tut. – Dann Schweineschnitzel und Kartoffelstock, die sich jeder selber auf seinen Teller schöpfen musste. Wer jetzt zu denken wagt, das sei aber ein recht banales Festessen, Schnitzel und Kartoffelpüree, der trete vor und sage es laut. Diese Schweineschnitzel, in ihrer Buttersoße, waren einzigartig und hätten sogar den König, dem das Clos mit dem edlen Wein gehörte, beglückt. Und auch das Püree war so, wie es nur meine Mutter hinkriegte. Kein Pfanni, kein Stocki, die noch gar nicht erfunden waren. – Aber auch im Weihnachtsgebäck-Backen war meine Mutter eine Meisterin. Bei ihr musste sich sogar Norina geschlagen geben, obwohl auch deren
Weitere Kostenlose Bücher