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Reise zum Rand des Universums (German Edition)

Reise zum Rand des Universums (German Edition)

Titel: Reise zum Rand des Universums (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Urs Widmer
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dass ich seine Geschichten und deren Heldinnen und Helden kannte, weil ich dabei gewesen war. Er verabschiedete sich bald und ging, ein schlaksiger Jüngling mit Nike-Schuhen. Vielleicht war er der Sohn Connis, deren Mutter schon mit uns gewesen war.
    DIE Hasenburg war – und ist – einer der Herzorte der Basler Fasnacht. Zu dieser nur so viel. Ich spielte Piccolo, mittelmäßig, und nahm dreißig oder gar vierzig Jahre an ihr teil, in Kostüm und Maske und von der ersten bis zur letzten Minute. Es hat sich gelohnt. Denn diese Zeit brauchte es – neunzig oder hundertzwanzig Tage der Anarchie –, um mich fünf oder vielleicht auch sieben Augenblicke des reinen Glücks erleben zu lassen. Glück war schon damals so schwer zu erhaschen wie das Higgs-Teilchen: aber ich erlebte an einigen Fasnachten (keineswegs an jeder) jenes Absolute, in dem ich, mit der Welt und mir eins, in einer magischen Trance schwebte, bewusst für das Wunder, das sich an mir vollzog, und aufgehoben in der Sicherheit des Ewigen. Keine Zeit mehr, nur Sein. Dieses rhythmische Schwanken der Pfeifer und Trommler – nun spielte sogar ich klar und fehlerfrei – durch die engen nachtdunklen Gassen! Ich tat keine falsche Bewegung, um die Engel, die mich umschwebten, nicht zu verscheuchen, und gab mich ihnen bedingungslos hin. Verströmte mich, so lange, bis dann doch einer, der vielleicht ich war, ein schrecklich falsches f statt ein d spielte oder eine Waggis-Horde ihre Witze brüllte und wir alle wieder in dieser Welt waren. (Ich ahnte zuweilen auch, dass das Große Glück seinen Gegenpol hatte. Das Große Unglück. Dass es das Eine nicht ohne das Andere gab. Die Entgrenzung, die jenes Schweben auf Wolken ermöglichte, konnte auch zu Angst und Panik führen. Jäh warst du dem Unbegrenzten nicht mehr gewachsen. An jeder Fasnacht starb und stirbt irgendeiner oder -eine irgendwo. Herzinfarkt, Selbstmord.) – Ein Moment solchen Glücks: Im Grauen des Morgens des Donnerstags – die Fasnacht offiziell seit Stunden vorbei – spielten wir, ein Dutzend übriggebliebene Pierrots, Bajasse und alte Tanten, in der Gasse vor der Hasenburg mit Ballonen Fußball. Zwanzig oder mehr rote, blaue oder gelbe Ballone; keine Ahnung, wo die plötzlich herkamen. Wir kickten sie uns anmutig zu, jeder in seiner eigenen Trance zwischen Herren in Hüten und Mänteln tanzend, die ihren Büros zustrebten. (Einige von ihnen waren vor ein paar Stunden noch polternde Waggisse gewesen.) Wir ließen die Ballone von Fuß zu Fuß schweben, ein Maskenballett, bei dem kein Ballon je den Boden berührte. Der magische Tanz erforderte höchste Aufmerksamkeit: Wir mussten ja alle Ballone im Auge behalten – und das durch Maskenaugen! Denn wir trugen natürlich unsere Masken, sie flogen steil in die Höhe, kreuzten sich, schwebten quer an dir vorbei, und zuweilen senkten sich zwei Ballone gleichzeitig vor dir nieder. Da musstest du dann den Ballonen mit besonders inniger Anmut zweifüßig neuen Auftrieb geben. Es gab auch Applaus, ein Bajazzo mit einer tiefschwarzen Maske schlug seine ebenfalls schwarzen Handschuhe frenetisch gegeneinander, als einer alten Tante – spitze weiße Nase unter einem riesigen Federhut – eine Art Fallrückzieher gelungen war. – Ich hatte schon eine Weile lang gehört, dass, fern von der Schifflände her, das Müllauto näher gerumpelt kam. Nun war es da. Die Mistkübelmänner sprangen von ihren Trittbrettern, und der Fahrer stieg aus seiner Kabine. Sie lachten sich an, rieben sich die Hände und griffen ins Spiel ein. Drei Männer, wie Schränke. Sie trugen auch so was wie Kostüme, orange Blaumänner; allerdings keine Masken. Sie waren bester Laune; auf Müllmännerart. Mit ihren Nagelschuhen ließen sie einen Ballon nach dem andern platzen. Ein Tritt, ein toter Ballon. Als auch der letzte ein schrumpeliger Fetzen geworden war, gingen sie zu ihrem Fahrzeug zurück und fuhren weiter. Sie winkten, und wir winkten zurück, bis sie in der Marktgasse verschwunden waren. Wir zogen die Masken aus, gingen in die Hasenburg zurück und setzten uns nochmals an einen Tisch. Noch ein Kaffee fertig, und ich machte mich auf den Heimweg.
    DANN verliebte ich mich zum zweiten Mal mit voller Wucht. Ich war immer noch so etwas wie ein Bub, ein großer Bub. Aber diesmal schlief ich mit meiner Angebeteten. Sie hieß Brigitte, mit einem sanften französischen g , denn sie kam aus Tulle und hatte längst Paris zu ihrer Stadt gemacht. Jetzt war sie in Basel, sie war

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