Reisen im Skriptorium
er in der vergeblichen Hoffnung, den Aufprall abzufangen, die Hände nach hinten, knallt aber dennoch voll mit dem Steißbein auf die Bretter, worauf ihm eine Kaskade vulkanischen Feuers durch Beine und Oberkörper schießt, und da er außerdem auf die Hände gefallen ist, stehen plötzlich auch seine Handgelenke und Ellbogen in Flammen. Zu betäubt, um sich selbst zu bemitleiden, windet sich Mr. Blank am Boden, und während er gegen den Schmerz ankämpft, der über ihm zusammengeschlagen ist, vergisst er die Muskeln in und um seinen Penis anzuspannen, womit er in den letzten Minuten seiner Schlitterfahrt in die Vergangenheit beschäftigt gewesen war. Denn seine Blase ist zum Platzen voll, und ohne bewusste Anstrengung, ihren Inhalt bei sich zu behalten, ist er drauf und dran, ein höchst peinliches Malheur zu produzieren. Aber die Schmerzen überwältigen ihn. Sie haben alle anderen Gedanken aus seinem Kopf verjagt, und kaum entspannt er die erwähnten Muskeln, gibt seine Harnröhre dem Unvermeidlichen nach, und schon macht er sich in die Hose. Wie ein Säugling, denkt er, als der warme Urin aus ihm herausströmt und an einem Bein hinunterläuft. Und weiter: Das Kind, das in der Wärterin Armen greint und sprudelt. Unddann, als die Flut versiegt ist, schreit er aus vollem Hals: Idiot! Idiotischer Alter! Was zum Teufel stimmt nicht mit dir?
Jetzt ist Mr. Blank im Bad und streift Hose, Unterwäsche und Socken ab, alles gelb durchnässt von seinem Kontrollverlust. Noch immer schockiert ob seines Versagens, noch immer den Schmerz in allen Knochen, wirft er die Sachen wütend in die Wanne, nimmt dann den weißen Waschlappen, mit dem Anna ihn vorhin gesäubert hat, und wischt Beine und Unterleib mit warmem Wasser ab. Dabei richtet sich sein Penis aus dem bis dahin schlaffen Zustand auf, bis er sich um fünfundvierzig Grad aus dem lotrechten Hang erhoben hat. Trotz der zahlreichen Demütigungen, die Mr. Blank in den letzten Minuten erleiden musste, fühlt er sich von dieser Entwicklung getröstet, als sei damit irgendwie bewiesen, dass seine Ehre noch intakt ist. Er zupft noch ein wenig, und schon steht sein alter Gefährte zu strammen neunzig Grad aufgerichtet, und so, die zweite Erektion dieses Vormittags vor sich hertragend, verlässt Mr. Blank das Bad, geht zum Bett und steigt in die Pyjamahose, die Anna unterm Kopfkissen verstaut hat. Das große Tier hat schon wieder zu schrumpfen begonnen, als der alte Mann die Füße in seine Lederpantoffeln schiebt, aber was hätte man in Ermangelung weiterer Reibung oder geistiger Stimulation auch anderes erwarten können?Mr. Blank fühlt sich in der Pyjamahose und den Pantoffeln wohler als in der weißen Hose und den Tennisschuhen, zugleich aber hat er Schuldgefühle wegen dieses Kleiderwechsels, denn nun ist er nicht mehr ganz in Weiß gekleidet und hat damit das Versprechen gebrochen, das er Anna – auf Verlangen von Peter Stillman junior – gegeben hatte, und das schmerzt ihn sehr, mehr als die physischen Schmerzen, die noch immer durch seinen Körper zucken. Als er zum Schreibtisch schlurft, um seine Lektüre des Typoskripts fortzusetzen, nimmt er sich vor, ihr das zu beichten, wenn er sie das nächste Mal sieht, und hofft, sie werde es über sich bringen, ihm zu verzeihen.
Wenig später sitzt er wieder auf dem Stuhl, und der Schmerz fährt ihm pochend ins Steißbein, als er auf dem Hintern hin und her rutscht, bis er eine halbwegs erträgliche Haltung gefunden hat. Dann beginnt er zu lesen:
Von den Unruhen in den Fremden Territorien habe ich zum ersten Mal vor sechs Monaten gehört. Es war spät an einem Nachmittag im Hochsommer, ich saß allein in meinem Büro und arbeitete an den letzten Seiten meines halbjährlichen Berichts. Inzwischen waren wir mitten in der Saison der weißen Baumwollanzüge, aber an diesem Tag war es ganz besonders heiß gewesen, und die Luft war von einer solch erstickenden Schwüle, dass einem auch die dünnste Kleidung überflüssig vorkam. Um zehn Uhr hatte ich die Männer meiner Abteilung angewiesen, ihre Jacken und Krawatten abzulegen,aber da auch dies kaum zu helfen schien, gab ich ihnen am Mittag frei. Sie hatten den ganzen Vormittag nichts anderes getan, als sich Kühlung zuzufächeln und den Schweiß von der Stirn zu wischen, und so hielt ich es für sinnlos, sie weiter dort festzuhalten.
Ich erinnere mich, dass ich im Bruder Hof zu Abend aß, einem kleinen Restaurant in der Nähe des Außenministeriums.
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