Reispudding mit Zimt (German Edition)
Gehsteig der Slaughden Road. Auch wenn ich mich Clara gegenüber gefasst gegeben habe, klopft mein Herz nun gewaltig. Ich habe bisher immer unter irgendwelchen weichen Fittichen gelebt. Immer unter der Aufsicht irgendwelcher liebender, sorgender Menschen, in Watte gepackt und ziemlich verwöhnt. Ich gebe zu, im Moment habe ich doch ordentlich Angst vor meiner eigenen Courage. Aber andererseits meldet sich bei mir so ein kleines, wildes Gefühl. Fast ist es wieder wie das Urlaubs-Juchzen meiner Kindheit. Ich habe das sichere Empfinden, dass wenn auch alles zur Zeit eher weniger gut aussieht, mein Weg richtig ist, und dass gute Zeiten auf mich zukommen.
Meine Hand zittert, als ich sie hebe, um auf den Klingelknopf bei Gladys zu drücken. Ich muss keine Sekunde warten.
Schon wird die Tür von innen aufgerissen, als hätte Gladys nach mir Ausschau gehalten.
(Vielleicht hat sie das tatsächlich?)
„Hallo, meine Liebe. Komm rein, komm rein“, begrüßt sie mich herzlich. Über ihre Schulter ruft sie: „Len! Anna ist da. Du musst kommen und ihren Koffer die Treppe hinauf bringen.“
Len kommt flink an und greift nach dem Henkel.
„Das ist nicht nötig“, wehre ich ab, „das kann ich doch alleine.“
Aber schon hat der rüstige Rentner mein Gepäck fest im Griff und trägt es hinauf.
„Du gehst jetzt herauf und packst aus“, sagt Gladys, „Ich mache uns derweil eine schöne Tasse Tee. Und zur Feier des Tages habe ich uns etwas Besonderes gekocht. Es gibt gebratenen Kapaun und zum Nachtisch Reispudding.“ Ihr ganzes Gesicht (übrigens eindeutig ohne falsches Gebiss) strahlt vor Vorfreude.
In mir keimt auch sehr schnell die gleiche Freude auf, als ich die Nase zum Schnuppern hebe. Es duftet köstlich. Seit dem Aufenthalt bei Clara habe ich nichts wirklich Gutes mehr gegessen, abgesehen von Freddys Bratfisch. Sollte ich das unverschämte Glück haben, in einem Hause gelandet zu sein, wo man etwas von guter Küche versteht?
Der mickrige Toast mit dem Hauch von Butter, den ich unter Claras missgönnendem Blick herunter geschlungen habe, ist ein gar kümmerliches Frühstück gewesen.
Ich grinse zurück und sage aus tiefstem Herzen: „Oh, da freue ich mich schon riesig drauf.“
Der wunderbare Duft verfolgt mich bis in mein Zimmer und quillt vermutlich aus der Küche durch die Holzdielen des Bodens hoch. Ob das wohl gleich so fantastisch schmecken wird, wie es riecht?
Tat es.
Eine Stunde später liegen fast nur noch die Knochen des edlen Geflügels auf der Platte vor uns auf Gladys' und Lens Tisch. Gladys verschwindet in der Küche und kehrt mit einer Schüssel Reispudding zurück. Er wartet dampfend in dem Gefäß, frisch aus dem Ofen. Oben drauf blubbert eine verführerische Kruste aus karamellisiertem Zucker und reichlich Zimt. Gladys sticht mit einem Löffel in den hellen Pudding und füllt etwas davon in ein Schälchen. Dann reicht sie es mir an.
„Guten Appetit. Pass auf, es ist noch heiß!“
Nicht gelogen, das ist der beste Milchreis, den ich jemals gegessen habe. Ich lobe ihn entsprechend und Len lächelt zufrieden.
„Ja, Gladys kann gut kochen. Nur deshalb habe ich sie ja auch geheiratet“, sagt er.
„Du Schuft“, sagt sie und knufft ihn liebevoll mit der Faust in den Oberarm, strahlt aber über sein Kompliment, „wäre ja auch eine Schande, wenn ich es nicht könnte.“
„Wieso?“, frage ich neugierig.
„Weil ich doch jahrelang gekocht habe. Im Amberly Hall. Er liegt etwa zwölf Meilen außerhalb von Aldeburgh. Ich war dort die Köchin.“
Am liebsten würde ich jetzt wild lachen. Das darf doch nicht wahr sein. Stattdessen starre ich Gladys nur fassungslos an.
„Alles in Ordnung?“, fragt Len, „hat die Katze dir deine Zunge gestohlen?“
„Nein“, sage ich, „ ich meine ja – es ist nämlich so: ich möchte auch gerne Köchin werden.“
Jetzt hätte ich gedacht, dass Gladys und Len mir beide zu meiner Idee gratulieren würden. Dass sie gemeinsam auf meinen Rücken klopfen würden und sagen: „Na toll, da bist du hier genau richtig.“
Stattdessen sehen sie sich nur gegenseitig an.
Dann räuspert Gladys sich: „Bist du dir ganz sicher?“
„Klar.“ Ich nicke heftig.
„Hmm“, fährt Gladys fort, „ich will dir nicht in deine Suppe spucken, aber weißt du überhaupt, auf was du dich da einlässt?“
„Natürlich. Ich habe schon so viele Kochsendungen gesehen. Ich habe schon so viel und häufig selber gekocht. Und ich mache das, mit Verlaub, ganz gut.
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