Reispudding mit Zimt (German Edition)
allein sind. Anscheinend hat der ganze Strand mitgekriegt, dass ein Notfall eingetreten ist.
Um uns herum bildet sich rasch eine wahre Menschentraube, die flüsternd und atemlos zusieht. Ein Kind fängt an zu weinen.
Eine von Chris' Haarlocken löst sich aus dem Haargummi und kitzelt mein Gesicht. Ungeduldig streicht er sie hinter sein Ohr und versucht weiter, die widerspenstige Gräte zu erhaschen.
Der Kerl hat unanständig lange Wimpern, denke ich.
Da gibt es einen kleinen Ruck unter meiner Zunge. Chris' Gesicht verklärt sich.
Triumphierend hält er die Hand mit der Pinzette in die Luft. Darin eingeklemmt ist eine Monstergräte, bestimmt zwei Zentimeter lang.
Ein befreites Raunen geht durch die Menge. Jemand fängt an zu klatschen, und auf einmal klatschen sie alle.
Ich richte mich benommen auf und ziehe erst einmal mein T-Shirt hinunter.
Einen Moment lang frage ich mich, woher mein Schwindelgefühl wohl kommt, von dem Schock oder von Chris' Nähe. Ein klitzekleines bisschen bin ich sogar traurig, dass die Gräte jetzt heraus ist.
Chris legt einen Arm beruhigend um meine Schultern. Es fühlt sich gut an.
„Geht es jetzt wieder?“, fragt er im besorgten Ton.
Liz, die Schöne, wirkt irritiert. „Chris“, sagt sie, „die Jungs werden unruhig. Wenn du jetzt mit deinem Rettungseinsatz fertig bist...“
Ich ducke mich unter seinem Arm weg, greife nach meinem Piratentuch, das abgefallen ist und noch auf der Bank liegt, und binde es wieder über meinen Haaren fest.
„Ja, danke. Vielen Dank für deine Hilfe. Ich glaube, du hast mir das Leben gerettet. Wenn ich kann, revanchiere ich mich irgendwann dafür.“
Er sieht mir so tief in die Augen, dass ich ganz weiche Knie bekomme. „Hm“, erwidert er, „das klingt sehr verlockend.“
Jetzt schnappt Liz nach dem Griff des Kinderwagens und wendet sich mit energischen Schwung zum Gehen.
Chris hebt seine Hände und zuckt bedauernd mit den Schultern. „Man braucht mich“, sagt er, zwinkert mir zu und eilt seiner Frau hinterher.
Ich stolpere in meinen Wagen zurück, stütze mich mit beiden Händen fest auf die Theke und warte, bis mein Kopf klar wird.
Wie durch einen Nebel nehme ich wahr, dass schon wieder eine Schlange hungriger Menschen erwartungsvoll zu mir aufsieht. In der Fritteuse sind die verkohlten Reste von einem total verbrannten Fischfilet. Ich werfe sie in den Abfall, wende ein frisches Filet in meinem Spezialteig und arbeite weiter. Physisch bin ich, Anna Muritz, wieder ganz bei der Sache. Im Geist tappe ich aber wie ein kleines Kind, das sich im Wald verlaufen hat, hinter der kleinen Gruppe her, hinter Liz, den Zwillingen und – Chris.
Ich muss gestehen, dass meine Gedanken den ganzen Abend und auch die ganze Nacht um meinen Retter kreisen. Ich lebe immer wieder den Augenblick durch, in dem ich hilflos auf der Bank liege und Chris' weicher Atem meine Wange streichelt. Ich versuche, mich zu erinnern, was für eine Augenfarbe er hatte. Dann winde ich mich vor Scham, wenn ich daran denke, was ich wohl für ein Bild abgegeben habe, als meine Augen hervorquollen und ich an der Gräte würgte. Da trifft man endlich mal einen tollen Mann, und dann passiert einem so eine Blamage. Das Leben kann so grausam sein.
Ob ich ihn jemals wiedersehen werde? Vielleicht ist er mit seinen (oder doch nicht seinen?) Kindern und Liz bereits wieder aus Aldeburgh fort.
Ach, es ist bestimmt besser so! Schließlich ist der Mann offensichtlich „vergeben“, wenn nicht sogar verheiratet.
Mein Leben ist zur Zeit schon kompliziert genug, ohne dass ich mich noch zusätzlich in eine unglückliche Liebesbeziehung begebe, so viel ist sicher.
Doch trotz all meiner vernünftigen Überlegungen, erwische ich mich doch dabei, wie ich schon mit einer kleinen, heimlichen Vorfreude an Morgen denke. Vielleicht, vielleicht kommt Chris wieder an den Stand, um sich einen Fisch zu kaufen.
Als der Wecker mich um Vier Uhr weckt, höre ich ein gleichmäßiges Klopfen an meiner Fensterscheibe. Ich torkele schlaftrunken zum Fenster und sehe hinaus. Zum ersten Mal seit meiner Anreise regnet es, und zwar nicht sanft, sondern in Strömen. Aha. Heute habe ich wohl frei. Freddy hat doch gesagt, dass ich an Regentagen nicht aufmachen soll.
Normalerweise hätte ich mich über diese Entwicklung wohl gefreut. Jetzt krieche ich aber frustriert zurück ins Bett und starre noch eine Weile an die Zimmerdecke, bevor ich wieder einschlafe.
Einige Zeit später, weckt mich das Klingeln
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