Reispudding mit Zimt (German Edition)
anscheinend ein lustiger Gedanke. „Du meinst wohl mit 'voll heute' nicht mein Lokal sondern dich selber.“
Ich ziehe es vor, diese Bemerkung zu ignorieren. Stattdessen höre ich mich selber sagen, (ist es der Whisky?), : „Len sagt, du könntest eine Aushilfe gebrauchen.“
Jetzt hebt Humphrey beide Brauen. „Ach, und da dachtest du, dass du etwa...?“
Ich sehe ihn nur aufmunternd an.
„Kommt nicht in Frage“, sagt er entschieden, „so dringend brauche ich auch wieder keine Hilfe, als dass ich mir so 'ne freche Schnepfe wie dich ins Lokal holen würde.“
Ich habe mein Glas schon fast leer getrunken.
„Entzückend“, lalle ich, „dann fange ich gleich morgen an. Wann machen wir auf?“
Humphrey verdreht die Augen, aber ganz gegen meine Erwartung sagt er: „Am Abend haben wir den meisten Andrang. Du bist pünktlich um achtzehn Uhr da. Bis null Uhr. Montags ist Ruhetag. Du kriegst sieben Pfund die Stunde, mehr ist nicht drin. Und wenn du wieder mal so vorlaut bist, fliegst du im großen Bogen raus, dass das klar ist.“
Ich knalle mein Glas auf die Theke und hüpfe vom Barhocker hinunter.
„Wunderbar, Humph, dann bis morgen!“
Als ich die Tür aufreiße, um mich wieder den Elementen zu stellen, höre ich, wie der Wirt mir nachbrüllt: „...und ich heiße Hum phrey !“
Der Wind bläst mir sofort so in das Gesicht, dass ich nach Luft ringen muss. Die unerwartete Sauerstoffdosis hat eine ernüchternde Wirkung.
Bin ich denn blöde? Was habe ich jetzt wieder angerichtet? „Meine Tochter, die Bardame.“
Und was wird Gladys sagen?
Aber als ich hinaus auf das Meer sehe, wo die Regenfront bleiern und unverrückbar am Horizont hängt, da wird mir klar, dass meine Karriere als „Fischbräterin“ endgültig zu Ende ist. Wenn dieses Sommertief fortgezogen ist, (vermutlich erst in etwa vierzehn Tagen), steht Freddy mit Sicherheit wieder selbst in seiner Bude, um für Chris und Gattin zu braten.
Obwohl es immer noch windig und grau ist, hat der Wind etwas nachgelassen. Irgendwie habe ich noch keine Lust, zu meinem Quartier zurückzugehen. Dort wird nur wieder die Bude auf mich fallen. Und wie ein Kind, das weiß, dass es etwas ausgefressen hat, scheue ich mich, Gladys unter die Augen zu treten . Sie wird über meine neue Karrierewendung gar nicht begeistert sein, das ist mir klar.
Also wandere ich einfach die Crabbe Street weiter hinunter und biege nach links in die Victoria Road ein. Und bald sehe ich, was ich suche; einer meiner Lieblingsorte in Aldeburgh: die St. Peter and St. Paul's Church. Das wuchtige Steingebäude mit dem imposanten Kirchturm ist ein beliebter Anlaufpunkt für alle Besucher des Ortes. Besonders der Turm, der aus dem 15. Jahrhundert stammt, beeindruckt mich immer wieder. Nicht um sonst war er zu früheren Zeichen ein wichtiges Seezeichen für Seefahrer. Wie immer, wenn ich noch nicht zu dicht vor dem Gebäude stehe, werfe ich meinen Kopf in den Nacken und suche die Turmspitze nach der Glocke ab, die früher als Warnzeichen genutzt wurde, wenn feindliche Schiffe sich der Küste näherten. Mein Gesicht wird vom Nieselregen ganz nass, aber mir ist das egal. Seit meiner Kindheit habe ich eine Tradition daraus gemacht, die Glocke zu suchen. Für mich ist es schon immer ein beruhigender Gedanke gewesen, dass die Glocke und der Turm über Aldeburgh wachen und dem Ort eigentlich nichts Schlimmes widerfahren kann. Jetzt bin ich kein Kind mehr. Und doch habe ich das Gefühl, dass ich den Schutz so einer virtuellen Glocke zur Zeit besonders nötig habe.
Nun schiebe ich die schwere Kirchentür auf und freue mich, dass nicht abgeschlossen ist. Ich setze mich in eine Bank und lausche. Der Wind heult nur noch ganz entfernt, als hätte man den Ton an einem Regler herunter gedreht. Die dicken Steinwände dämpfen das Geräusch. Meine Augen gleiten durch den Kirchenraum und ruhen auf den vertrauten Blickfängen, die ich als Kind angesehen habe. Am schönsten finde ich noch immer die herrlichen Glasfenster von John Piper, die selbst bei dem schlechten Wetter wie kostbare Juwelen leuchten. Sie sind zum Andenken an Aldeburghs berühmtesten Sohn, an Benjamin Britten, in das alte Gemäuer eingefügt worden, dem Komponisten von Werken wie das „War Requiem“ oder „Peter Grimes“.
Ich denke an Britten und an den Künstler Piper. Beide haben in ihren jeweiligen Bereichen ein gutes, kreatives Leben geführt. Warum soll ich nicht auch so ein kreatives Leben führen dürfen? Zwar wird das, was
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