Reizende Gäste: Roman (German Edition)
Vater haßt mich.« Zara hatte einen Moment nachgedacht.
»Ich kenne meinen Vater gar nicht«, hatte sie schließlich gestanden, »aber er ist Amerikaner.« Nat hatte sie ehrfurchtsvoll angesehen.
»Ist er ein Cowboy?«
»Ich denke schon«, hatte Zara erwidert. »Er trägt einen tollen großen Hut.«
Tags darauf hatte Nat ein Bild von Zaras Vater gemalt, auf dem er genau so einen Hut trug, und damit war ihre Freundschaft besiegelt. In sämtlichen Unterrichtsfächern hatten sie sich zusammengesetzt, hatten in der Pause zusammen gespielt, hatten sich zusammengestellt, wenn Zweierreihen gebildet werden sollten, und waren sogar manchmal – obwohl es strengstens verboten war – nachts zum anderen ins Bett gekrochen, wo sie sich gegenseitig Geschichten erzählten.
Und dann, mit sieben, war Zara nach den Ferien, die sie damit verbracht hatte, in einer Hotel Suite in Kensington Erdbeermilkshakes zu trinken, ins Internat zurückgekehrt und mußte entdecken, daß Nats Bett abgezogen und alle Sachen aus seinem Schrank verschwunden waren. Mrs. Burton hatte ihr freundlich zu erklären begonnen, daß Nats Eltern unerwartet von Moskau nach New York ziehen mußten und Nat abgeholt hatten, weil er fortan bei ihnen wohnen sollte – aber noch ehe sie enden konnte, hallten Zaras Schmerzensschreie in der ganzen Schule wider. Nat hatte sie verlassen. Seine Eltern liebten ihn also doch. Und er war nach Amerika gegangen, wo ihr Vater ein Cowboy war, und er hatte sie nicht mitgenommen.
Eine Woche lang weinte sie jeden Tag, weigerte sich zu essen, weigerte sich, Nat zu schreiben, weigerte sich zunächst, überhaupt zu sprechen und dann nur mit einem amerikanischen Akzent, wie sie ihn sich vorstellte. Schließlich hatte man Fleur in die Schule gebeten, und Zara hatte sie hysterisch angefleht, mit ihr nach Amerika zu ziehen.
Doch statt dessen hatte Fleur sie umgehend von der Court School genommen und sie in eine nette, normale Mädchenschule in Dorset geschickt, wo Bauerntöchter auf ihren eigenen Ponies ritten und Hunde hielten und keine unnatürlichen Sympathien füreinander entwickelten. Zara war angekommen, das Kuriosum aus London, nahe am Wasser gebaut und nach wie vor nicht von ihrem amerikanischen Akzent ablassend. Seitdem war sie das Kuriosum geblieben.
Sie war unglaublich, genauso wie Fleur unglaublich war – aber völlig anders. Schweigend ging Antony neben Zara her, während ihm der Kopf schwirrte und eine schwache Erregung von ihm Besitz ergriff. Erst jetzt begann ihm allmählich aufzugehen, was Zaras Ankunft für Auswirkungen haben würde. Wenn sie eine Weile in »The Maples« blieb, dann hätte er jemanden, mit dem er herumziehen könnte. Jemanden, mit dem er die anderen beeindrucken könnte. Xanthe hatte vielleicht Augen gemacht, als sie Zara gesehen hatte! Selbst Mex hatte beeindruckt gewirkt.
Unvermittelt ertappte er sich dabei, wie er inbrünstig hoffte, daß sein Vater nicht irgend etwas Idiotisches tat, wie etwa, mit Fleur Schluß zu machen. Es war nett, Fleur um sich zu haben. Und es wäre sogar noch netter, Zara dazuhaben. Sie war zwar nicht gerade die Freundlichkeit in Person, aber das war egal. Vielleicht würde sie ja nach einer Weile etwas auftauen. Verstohlen spähte er in Zaras Gesicht. Ihre Stirn war gerunzelt, die Kiefer waren angespannt, und ihre Augen glitzerten. Echt rotzig sah sie aus, dachte Antony. Wahrscheinlich ist sie stocksauer, weil wir gestört wurden, bevor sie ihren Joint fertig rauchen konnte.
Just in diesem Moment bogen sie um eine Ecke, und die Abendsonne fiel auf Zaras Gesicht. Antony stockte das Herz. Denn in diesem kurzen Moment sahen ihre mageren Wangen eher sehnsüchtig als streng aus, und ihre Augen funkelten nicht vor Wut, sondern vor Tränen. Und plötzlich wirkte sie nicht so sehr wie eine Drogenabhängige, sondern vielmehr wie ein einsames kleines Mädchen.
Als sie wieder in »The Maples« eintrafen, hatte man Zara bereits ein Zimmer hergerichtet, und alle warteten auf sie.
»Schatz!« rief Fleur, sobald sie und Antony durch die Haustür hereinkamen; noch bevor sonst jemand etwas sagen konnte. »Laß uns gleich hoch in dein Zimmer gehen, ja?« Sie lächelte Richard an. »Es stört dich doch nicht, wenn ich einige Minuten allein mit meiner Tochter sein möchte?«
»Überhaupt nicht! Laßt euch Zeit!« Richard schenkte Zara ein aufmunterndes Lächeln. »Laß mich nur sagen, wie froh ich bin, dich hier willkommen heißen zu können, Zara. Wie froh wir alle sind.«
Zara
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