Reizende Gäste: Roman (German Edition)
entgegenhielt, und erhob es. »Zara, ein herzliches Willkommen!«
Philippa blickte in ihr Glas. Wann war zum letztenmal auf sie angestoßen worden? Wann hatte sie jemand zum letztenmal willkommen geheißen? Alle ignorierten sie, selbst die eigene Familie. Sie hatte keine Freundinnen. Gillian lag nichts mehr an ihr. Niemandem lag an ihr. Philippa zwinkerte ein paarmal und versuchte, die wenigen wahren Gefühle in ihr aufzurütteln, bis ihr langsam eine Träne ins Auge trat und ihr die Wange hinunterrollte. Jetzt haben sie mich zum Weinen gebracht, dachte sie. Ich weine, und es fällt nicht einmal jemandem auf. Eine weitere Träne rollte ihre Wange hinunter, und sie schniefte wieder.
»Philippa!« Richards bestürzte Stimme unterbrach die Unterhaltung. »Ist alles in Ordnung mit dir, Schatz?«
Mit bebender Miene blickte Philippa auf.
»Ich bin schon okay«, erwiderte sie. »Ich habe nur gerade … an Mummy gedacht. I-ich weiß nicht, warum.«
»Oh, mein Schatz.« Richard eilte zu ihr.
»Keine Sorge«, sagte Philippa. »Es ist alles in Ordnung, wirklich.« Sie schniefte noch einmal, lächelte ihren Vater an und gestattete ihm, den Arm um sie zu legen und sie aus dem Raum zu geleiten. Alle schwiegen; alle musterten besorgt ihr tränenfeuchtes Gesicht. Als sie an Zara vorbeikam, sah Philippa rasch auf, bereit, einem weiteren mitleidigen Gesicht zu begegnen, tapfer nach vorn zu schauen und dann die Wimpern wieder zu senken. Aber als sie Zaras kühlen Blick auffing, spürte Philippa, wie sie erschauerte, und sie hatte Mühe, ihren Gesichtsausdruck nicht entgleisen zu lassen. Vor diesem Mädchen fühlte sie sich töricht und durchschaubar, als würde Zara irgendwie ihre Gedanken kennen.
»Sie tun mir leid«, sagte Zara leise.
»Wie meinst du das?«
Zara verzog keine Miene.
»Daß Sie Ihre Mutter verloren haben.«
»Oh. Danke.« Philippa atmete scharf aus und zwang sich zu einer tapferen Haltung. Doch sie fühlte sich nicht mehr tapfer. Die Tränen waren getrocknet; niemand sah sie mehr an; Lambert hatte mit Antony ein Gespräch über Kricket begonnen. Der Moment war vorüber, und Zara hatte ihn ihr völlig verdorben.
9
Zwei Wochen darauf blickte Richard grinsend von seiner Ausgabe der Times auf.
»Sieh dir das an!« Er deutete auf eine winzige Meldung auf den Wirtschaftsseiten mit dem Titel »Buchhalter suspendiert«. Fleur überflog die wenigen Zeilen, und ein Lächeln huschte über ihr Gesicht.
»Ich hab’s dir ja gesagt!« schmunzelte sie. »Habe doch gleich gemerkt, daß das Halunken sind.«
»Was ist passiert?« fragte Gillian, die gerade in den Raum kam. Richard guckte entzückt auf.
»Die Leute, mit denen wir letztens Golf gespielt haben. Briggs & Co. Einer davon ist dabei ertappt worden, wie er die Geschäftsbücher einer anderen Firma manipuliert hat. Steht heute in der Zeitung.«
»Du meine Güte!« sagte Gillian verwirrt. »Ist das denn eine gute Nachricht?«
»Nein. Das Gute daran ist, daß wir beschlossen haben, auf ihre Dienste zu verzichten. Das Gute ist, daß Fleur ihnen auf die Schliche gekommen ist.« Richard ergriff Fleurs Hand und drückte sie zärtlich. »Fleur ist das Gute hier um uns herum«, sagte er, »da wird mir wohl jeder zustimmen.« Er blickte zu Gillian auf. »Du siehst aber hübsch aus.«
»Ich breche jetzt zu meiner Bridgestunde auf«, erklärte sie, und an Fleur gewandt: »Und du willst ganz bestimmt nicht mitkommen?«
»Schatz, letzte Woche bin ich total durcheinandergeraten. Ich bin nicht fähig, mir zu merken, wann man in einem Stich einen Trumpf spielt. Oder war es andersherum?« Fleur zog die Nase kraus, und Gillian lachte. »Und Tricia war ganz erpicht darauf, einen Partner zu finden. Also, ab mit dir. Und viel Spaß!«
»Nun …« Gillian zögerte und zog ihr Jackett über den Hüften glatt. Es war ein neues, lichtblaues Leinenjackett, das sie in der Woche zuvor bei einem Einkaufsbummel mit Fleur erstanden hatte. Sie trug es zu einem langen, cremefarbenen Rock, ebenfalls neu, und dem blauen Schal, den Fleur ihr geschenkt hatte. »Na, wenn du dir wirklich sicher bist?«
»Absolut«, erwiderte Fleur. »Und denk dran, heute abend koche ich. Du kannst dir also ruhig Zeit lassen.«
»Na dann.« Ein feines Lächeln erschien auf Gillians Gesicht. »Wißt ihr, ich genieße diese Stunden. Ich hätte nie gedacht, daß ein Kartenspiel so belebend sein kann!«
»Früher war ich einer Partie Bridge auch nie abgeneigt«, sagte Richard, »aber Emily machte sich leider
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