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Remember

Remember

Titel: Remember Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Roland Jungbluth
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verschwunden.
    Als ihnen schließlich nur noch der Park blieb, wusste Annabel im Grunde ihres Herzens, dass sie ihn nicht mehr finden würden.
    Im Dämmerlicht des frühen Abends sah der herbstliche Park vollkommen harmlos aus. Nichts erinnerte mehr an den Schrecken, den sie hier noch vor einigen Stunden erlebt hatten. Auch der Nebel hatte sich aufgelöst. Trotzdem saß Annabel die Angst im Nacken und sie wartete nur darauf, dass die Sirene ertönte und einen weiteren Angriff auf ihren Verstand ankündigte.
    Nachdem sie das Haus einmal umrundet und erfolglos Erics Namen gerufen hatten, bewegten sie sich langsam die Auffahrt hinunter in Richtung Tor. Kein anderes Geräusch drang an ihre Ohren als das Knirschen ihrer eigenen Schritte auf dem weißen Kies.
    Noch bevor sie das Tor erreicht hatten, konnte Annabel es fühlen. Eine Kälte, als hätte vor ihnen jemand eine riesige Kühlschranktür geöffnet.
    Und als sie vor dem Tor stehen blieben, um einen Blick nach draußen zu werfen, stockte ihr endgültig der Atem. Denn anstelle der Straße und den gegenüberliegenden Häusern stand hinter dem Tor die weißgraue Wand. Der Nebel, der vor ein paar Stunden über sie hergefallen war, hatte sich nicht einfach aufgelöst, wie sie eben vermutet hatte, sondern sich nur hinter die Grundstücksgrenze zurückgezogen; als warte er auf einen stillen Befehl, um sich erneut des Parks und des Hauses zu bemächtigen. Es glich einer Belagerung.
    »Wann hört das endlich auf, Michael?« Annabels Finger umklammerten die kalten Eisenstäbe des Tores. Ihre Augen und Ohren suchten nach einem winzigen Hinweis, dass außerhalb der Mauer noch etwas existierte. Es gab keinen.
    Michael nahm eine Handvoll Kies und warf sie mit aller Kraft über das Tor.
    Annabel horchte auf den Aufschlag der Steine, doch alles blieb still. Als hätte Michael einen Stein in einen tiefen, bodenlosen Brunnen geworfen.
    »Hallo, ist da jemand? – Hört uns denn niemand?« Auch Annabels verzweifelte Rufe verloren sich im weißgrauen Nichts.
    Michael öffnete die kleine Pforte auf der linken Seite. Sie quietschte. Bevor er einen Schritt nach draußen machen konnte, hielt Annabel ihn zurück. »Nein! Nicht!«
    Michael sah sie lange an. Dann nickte er endlich und schloss die Pforte wieder. »Lass uns reingehen«, sagte er leise. »Hier werden wir Eric nicht finden.«
    »Legst du deinen Arm um mich?«
    Annabel schmiegte sich eng an Michael, während sie zurück zum Haus gingen. Seine Schulter war der letzte Ort, an dem sie sich sicher fühlte.
    »Ich hab mich noch gar nicht bei dir bedankt«, sagte Michael und drückte sie für einen Moment ganz fest an sich. »Danke.«
    »Wofür bedankst du dich?«
    »Dafür, dass du uns aus dem Nebel gerettet hast. Verrätst du mir, wie du es gemacht hast?«
    Annabel hatte nicht das Gefühl, dass sie seinen Dank verdiente. Vielleicht, wenn sie schneller reagiert hätte, wenn sie noch schneller gelaufen wäre, vielleicht wäre Eric dann noch bei ihnen. Aber so war alles umsonst gewesen.
    »Ich hab es einfach gesehen«, sagte sie schließlich müde. »Nicht, wie ich dich jetzt sehe. Aber es ist, als hätte ich eine Art Karte im Kopf. Ich wusste genau, wo ich war und wohin ich wollte. Ich wusste, wie viele Schritte es bis zum Seerosenteich waren und welchen Büschen und Bänken ich ausweichen musste. Ich wusste sogar, in welchem Winkel ich die Brücke anlaufen musste.«
    Vor den Parkplätzen blieb Michael stehen und sah sie verwirrt an. »Ich glaube, ich kapier’s immer noch nicht.«
    »Ich weiß nicht, wie ich es dir besser erklären soll. Ich zähle, verstehst du?« Es war das erste Mal, dass sie mit jemandem außer Dr. Parker darüber sprach. »Und ich merke mir bestimmte Dinge wie die Anordnung der Bäume und…«
    »Du zählst also.«
    »Ja. Ich zähle zum Beispiel meine Schritte. Nicht immer, und wenn, geschieht es ganz automatisch. Ich weiß nicht, wieso. Früher hab ich es manchmal sogar laut gemacht, aber inzwischen…« Sie brach ab. »Ich bin verrückt, oder?«
    »Nein, nicht verrückt, Anna«, sagte Michael und sie spürte die Zärtlichkeit in seinem Blick. »Nur unglaublich zauberhaft.«
    Sie hörten die Stimme schon im Treppenhaus und zuckten im ersten Moment zusammen. Sie klang laut, verzerrt und blechern und gehörte eindeutig nicht Eric. Doch als sie den ersten Stock erreichten und endlich verstehen konnten, was die Stimme sagte, war das Geheimnis ihrer Herkunft schnell gelüftet. Es war das Radio, das im Kabuff des

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