Remember
verängstigt aus. Aber irgendetwas stimmte immer noch nicht. Und dann fiel es ihr ein. Der Nebel!
»Wie bist du durch den verdammten Nebel gekommen? Dahinter ist doch nichts mehr.«
»Nebel?« George sah sie an, als hätte er dieses Wort gerade zum ersten Mal in seinem Leben gehört. »Was für ein Nebel? Wovon sprichst du?«
»Da draußen hinter der Mauer ist eine Nebelwand. Du… du musst sie doch gesehen haben.«
»Anna, ich schwör dir, hinter der Mauer ist kein Nebel. Ist wirklich alles in Ordnung mit dir? Du siehst blass aus. Willst du ein Glas Wasser?«
»Hör auf! Ich will kein scheiß Wasser! Ich glaub dir kein Wort. Da draußen ist eine Nebelwand. Sie belagert uns, verstehst du? Und als wir gestern nach Eric gesucht haben, da war hinter dieser Wand gar nichts. Es gab nur noch uns. Die Welt…«
Annabel sprach nicht weiter. Plötzlich verdorrten die Worte in ihrem Mund und sie vergrub die Hände in ihren Haaren und starrte zu Boden. Wie konnte sie an ihm zweifeln und gleichzeitig erwarten, dass er ihrem wirren Gefasel von einem bösartigen Nebel Glauben schenkte? Vielleicht hatte er tatsächlich keinen Nebel gesehen. Vielleicht gab es überhaupt keinen Nebel. Vielleicht…
»Hör mal, Anna, ich denke, es ist besser, wir gehen hoch zu Michael. Okay?« George stützte sich auf der Arbeitsplatte des Tresens auf und stemmte sich mühsam auf die Beine. »Wir sollten oben weiterreden. Außerdem ist mir kalt. Ich brauche dringend was Warmes zum Anziehen.«
Annabel nickte ihm zu. George sah wirklich erbärmlich aus in seinem dünnen Hemd.
»Ach, Anna«, sagte George und deutete gleichzeitig auf eine breite Schranktür über Annabels Kopf. »Ich hab da oben vorhin eine Tüte mit Nüssen entdeckt. Komm da aber schlecht ran.« Er rieb sich das Knie. »Ich hab wirklich furchtbaren Hunger.«
»Ja, klar«, sagte Annabel und da fiel ihr auch wieder der Kaffee ein, wegen dem sie eigentlich hergekommen war. Sie drehte George den Rücken zu und musste sich auf die Zehenspitzen stellen, um die Schranktür zu öffnen.
Ihr blieb fast das Herz stehen und ein spitzer Schrei entwich ihrer Kehle, als die Tür aufschwang und ihr ein großes dunkles Knäuel entgegenfiel.
»Würdest du mir glauben, dass ich diesen Mantel noch nie gesehen habe?«, fragte George kalt und fand es an der Zeit, die Rolle vom hilflosen kleinen Jungen aufzugeben. »Nein, wahrscheinlich nicht. Dreh dich nicht um! Was du da spürst, ist ein Messer. Und es ist sehr spitz und scharf. Und jetzt gib mir den Mantel! Es ist wirklich scheißkalt geworden.«
Er legte sich Erics Mantel um die Schultern, während er die Klinge eines langen Küchenmessers gegen Annabels Hüfte drückte. Das war schon das zweite Mal, dass er sich wegen einem von ihnen den Hintern abfror.
»Was hast du mit Eric gemacht?«, fragte Annabel und George hörte, wie sehr sie sich bemühte, ihre Wut zu unterdrücken. Und ihm war klar, dass er die kleine Wildkatze auf keinen Fall unterschätzen durfte.
»Ich? Ich habe gar nichts gemacht. Wir haben nur ein wenig geplaudert. Eric ist… ihm geht’s… den Umständen entsprechend, würde ich sagen. Wenn du mir versprichst, dich ruhig zu verhalten, bringe ich dich zu ihm.«
»Und wenn nicht?«
George verstärkte den Druck des Messers. Er konnte sehen, wie die Klinge leicht in den festen Wollstoff eindrang.
»Ich will dir nicht wehtun, Anna. Es sei denn, du zwingst mich dazu. Und jetzt geh.«
»Wohin?«
»Wir bleiben im Keller. Das Licht wird dir den Weg weisen. Und halt die Klappe. Ich muss ein wenig nachdenken.«
George holte seine Stablampe aus einer Schublade, presste sie ihr gegen den Hals und krallte seine Finger dabei in den Kragen ihres Mantels. Sie verließen die Küche und mit etwas Druck seiner Hand, einem leichten Schwenken der Lampe und wenigen kurzen Kommandos dirigierte er sie durch das Kellerlabyrinth.
Das hier war nicht geplant gewesen, dachte George, während sie scheinbar wahllos den schmalen Gängen folgten, vorbei an unzähligen Türen und verborgenen Nischen. Er hatte tatsächlich nur etwas zu essen gesucht und wollte später darüber nachdenken, wie er die beiden loswerden könnte. Doch ihm war schnell klar geworden, dass er diese einmalige Chance nicht ungenutzt lassen durfte. Schon gar nicht jetzt, wo der verdammte Zeitsprung alles durcheinandergebracht hatte. Und Annabel hatte ihm gerade eindrucksvoll bewiesen, wie labil sie war. Nur ein kleiner Stoß – und ihr Verstand würde völlig aus den Gleisen
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