Remember
springen.
»Bleib stehen!«, befahl er schließlich und war ein wenig erleichtert, dass er den Raum auf Anhieb wiedergefunden hatte. Einige Male hatte er sich gefragt, ob er nicht an der einen oder anderen Abzweigung falsch abgebogen war. »Die Tür vor dir. Öffnen!«
»Wo ist Eric?« George registrierte mit Genugtuung Annabels Angst, die in ihrer Stimme mitschwang.
»Eric ist hinter dieser Tür. Er wird sich bestimmt freuen, dass er Gesellschaft bekommt. Also mach schon! Zuerst den Schlüssel.«
Annabel drehte den Schlüssel, was ein knarziges, metallisches Kratzen erzeugte. Dann zog sie die schwere Eisentür auf und der Schein der Lampe fiel kurz auf eine alte, rostige Liege.
»Eric?«, fragte Annabel in den Raum hinein. Da versetzte George ihr einen so heftigen Stoß gegen den Rücken, dass sie vorwärtsstolperte und zu Boden fiel.
»Mach’s dir gemütlich«, sagte George und warf die Tür ins Schloss. Ein lautes Dröhnen hallte durch den Keller. Als es verklungen war, knipste er die Taschenlampe aus.
Annabel rappelte sich sofort wieder auf die Beine. Und abgesehen von ein paar leichten Abschürfungen an den Handflächen war sie unversehrt. Der feste Mantel hatte Schlimmeres verhindert. Aber wo war die Tür? In ihrer Panik hatte sie die Orientierung verloren. Langsam tastete sie sich in der Finsternis vorwärts und musste sich zwingen, nicht laut aufzuschreien. Sie durfte jetzt auf keinen Fall die Nerven verlieren. Nicht, wenn sie hier wieder rauskommen wollte.
Und auf einmal hörte sie Georges Stimme.
»Vermisst du eigentlich den kleinen Eric?«, fragte George.
Annabel konnte das überhebliche Grinsen in seiner Stimme hören. «Was hast du mit ihm gemacht?«, schrie sie und ihr wurde klar, dass sie im Moment absolut keine Kontrolle über ihre Nerven hatte.
»Ich habe nur getan, was man mir aufgetragen hat. Sie haben mir gesagt, was ich tun soll, damit ich verschont bliebe. Und du solltest dir jetzt lieber mehr Gedanken um dich als um Eric machen.«
»Wer hat dir das gesagt? Was solltest du tun? Wo ist Eric? Und wer sind die?« Annabels Herz schlug wie wild. Die ausgestreckten Hände suchten Halt und fanden den rauen Putz einer Wand.
»Ach, Anna. So viele Fragen. Hast du es denn noch immer nicht begriffen? Michael wusste von Anfang an, was mit uns passiert ist. Aber niemand wollte es wahrhaben.«
»Du lügst!«, brüllte Annabel. Sie zitterte vor Angst und Wut. »Du bist ein verdammter Lügner!« Ich will hier sofort raus, schrie alles in ihr und kalter Schweiß lief ihr den Rücken hinab. In ihrem Kopf drehte sich alles.
»Warum sollte ich jetzt noch lügen? Was hätte ich davon?«
Sie waren tot? Wollte er das damit sagen?
Annabel fiel es schwer, sich auf den Beinen zu halten. War das die endgültige Antwort? Ja, sie hatten darüber nachgedacht und diskutiert. Von Anfang an spukte diese Möglichkeit in ihren Köpfen herum. Wie ein Virus war der Gedanke von Michael auf alle anderen übergesprungen und immer wieder ausgebrochen. Gott, Teufel und das Spiel um ihre Seelen – es erklärte einfach alles. Noch gestern, im Park vor der London Library, hatte sie allen mit dieser Theorie einen Schrecken eingejagt. Und wie immer hatten sie sich abgewandt vor dem, was nicht sein konnte, weil es nicht sein durfte. Sie hatten einander sogar versprochen, nie wieder darüber zu reden.
Erst jetzt, in diesem dunklen Verlies, wurde ihr bewusst, dass sie die ganze Zeit die Augen verschlossen hatte vor der Wahrheit. Sie war blind gewesen. Genauso blind wie in diesem Augenblick. Vielleicht wurde es Zeit, es zu akzeptieren, dachte sie und fiel erschöpft und gepeinigt vom Schwindel auf die Knie. Sie wollte nicht mehr kämpfen. Sie wollte, dass es vorbei war. Mutlos ließ sie den Kopf nach vorn fallen, ihre Arme hingen schlaff an ihr herab. Es war, als würden die letzten Reste an Kraft und Hoffnung aus ihr herausfließen und im steinigen Boden versickern.
»Ein Leben nach dem Tod, Anna. Ist das nicht großartig? Vielleicht ist es ja nicht so, wie du es dir vorgestellt hast.« George lachte. »Aber war das Leben jemals so, wie du es dir vorgestellt hast, Anna? – Nein, nicht wahr? Warum also sollte der Tod anders sein?«
»Wo sind wir?« Annabels Stimme klang wie die eines kleinen Kindes, das sich verlaufen hatte.
»Anna, du enttäuschst mich. Was glaubst du, wo du bist?«
Annabel brachte keinen Ton heraus.
»Dies ist eine Pforte zur Hölle, Annabel. Und meine Aufgabe ist es, diese Pforte für dich zu
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