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Remember

Remember

Titel: Remember Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Roland Jungbluth
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Regeln.
    Leider wollte sich bei George bei der ganzen Aktion keine richtige Freude über seinen vermeintlichen Triumph einstellen, er empfand Annabel gegenüber fast so etwas wie Mitleid. Es gab für ihn daher keinen Grund, noch länger in der Dunkelheit zu verweilen. Er knipste die Taschenlampe an und machte sich auf den Weg zu seinem letzten Opfer.
    Annabel fiel.
    Sie fiel in ein schwarzes Nichts und war dabei, sich selbst zu verlieren, während die Angst in ihrem Verstand wütete und alle Gedanken wie dünnes Glas zerspringen ließ.
    Doch dann geschah etwas Eigenartiges. Ein Wort, kein richtiger Gedanke, nur ein Wort und so flüchtig wie ein Lufthauch, stahl sich aus dem Schatzkästchen ihrer Erinnerungen und hallte wie ein leises Echo durch ihren gemarterten Verstand. Es war warm und leuchtete.
    Rotlöckchen… Rotlöckchen… Rotlöckchen
    Und zum ersten Mal, seit sie fiel – es kam ihr vor wie eine Ewigkeit –, spürte sie nicht nur Angst und Verzweiflung. Plötzlich war da noch etwas anderes. Etwas, das sie nicht benennen konnte, weil das Chaos in ihr zu groß war. Doch es kamen weitere Worte, ebenso warm, ebenso hell wie das erste. Sie wurden getragen von einer Stimme, die wie klares Wasser aus einer unterirdischen Quelle sickerte. Und je mehr Worte zu ihr durchdrangen, desto langsamer fiel sie.
    Rotlöckchen… Das bin ich… Ich bin Rotlöckchen…
    Langsam gewann sie die Kontrolle über ihr Denken zurück, hielt Fantasien und Ängste davon ab, weiter wie bösartige Geschwüre in ihr zu wachsen.
    Hör auf zu fallen!… Hör auf! Hör einfach auf!
    Und Annabel fiel nicht mehr. Stattdessen spürte sie, wie etwas von ihrer alten Kraft zurückkehrte. Es fühlte sich fabelhaft an.
    Nur ein Traum… Er kann mir nichts tun…
    Annabel sah staunend, wie die Stimme zu einem schmalen Wasserlauf geworden war, auf dem die Worte wie flackernde Kerzen in der Nacht dahintrieben. Ein Augenzwinkern später befand sie sich mitten unter ihnen. Sie saß in einem kleinen Boot und folgte dem Strom, der durch ein unterirdisches Labyrinth floss. Das Licht fiel auf zerklüftete Wände, die über und über mit Worten aus stinkendem schwarzem Teer beschmiert waren. Parolen von Angst, Einsamkeit und Hoffnungslosigkeit.
    Das ist nicht von mir. Das ist nicht das, woran ich glaube.
    Annabel wandte den Blick ab, schaute auf ihre leuchtenden Gefährten und lauschte der Stimme. Immer deutlicher konnte sie sie hören. Ihr Mund verzog sich zu einem Lächeln. Der Strom verbreiterte sich und das Boot nahm an Fahrt auf.
    Süße… Süße… Das bin ich… Er nennt mich Süße… Sie tanzt… Die Stimme tanzt… Eric tanzt…
    Annabel lachte. Sie musste sich mit beiden Händen am Bootsrand festhalten, weil die Strömung immer stärker und das Boot immer schneller wurde.
    Michael… Michael… unglaublich zauberhaft…
    Dies waren die hellsten Worte von allen und ihr Klang löste ein wahres Feuerwerk an Emotionen bei Annabel aus. Ein Gefühl der Wärme durchströmte sie, breitete sich in ihr aus, erfüllte sie wie flüssige Schokolade.
    Michael… Michael… Michael braucht mich…
    Diese Worte ließen sie nicht mehr los und führten dazu, dass bald ein anderes, ein dunkles, kaltes Gefühl in ihr hochstieg. Hass. Hass auf denjenigen, der ihr das angetan hatte. Und der im Begriff war, das Gleiche auch jemandem anzutun, den sie liebte.
    GEORGE!
    Annabel schrie seinen Namen.
    Sie erhob sich und stand sicher wie ein Fels in dem Boot, das sich mit rasender Geschwindigkeit fortbewegte. Ihre eigene zornige Stimme ließ den Strom zu einem reißenden Fluss werden, der sich zu beiden Seiten aufbäumte und alle stinkenden schwarzen Scheußlichkeiten von den Wänden wusch und davonspülte.
    ICH WEISS, WER ICH BIN! ICH BIN ANNABEL!, schrie sie und fühlte, wie ihre Kräfte wuchsen und auch die Hoffnung zu ihr zurückkehrte.
    Dann schloss sie die Augen und trat über den Bootsrand hinaus in den reißenden Strom.
    Michael, flüsterte sie.
    Der Boden im Keller war kalt und schmutzig. Annabel lag ausgestreckt auf dem rauen Beton. Sie fühlte den Dreck unter ihren Fingern. Tränen liefen ihr übers Gesicht. Sie öffnete die Augen. Es war noch immer stockfinster, aber das machte ihr keine Angst mehr. Mit dieser Art von Dunkelheit konnte sie jetzt umgehen. Vorsichtig kniete sie sich hin. Ihr Herz schlug schnell und ihr war noch immer schwindelig.
    Annabel kam auf die Beine und streckte die Arme aus. Ihre Finger strichen über bröckelnden Putz. Hallo, Wände! Ich

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