Remember
können. Du hast wieder versagt, Michael. Du bringst allen nur Unglück. Es wäre besser gewesen, du wärst damals im See ertrunken, nicht Rebecca.«
Michael wollte etwas erwidern, aber er brachte keinen Ton heraus. Er war so sicher gewesen, den Unfall seiner Schwester verarbeitet zu haben. Aber er hatte sich geirrt. George war es mit wenigen Worten gelungen, alles wieder an die Oberfläche zu spülen. Michael beugte sich nach vorne, stützte den Kopf auf seine Hände und fing an zu weinen.
Für George war es so befriedigend mit anzusehen, wie Michael litt, wie er mit ein paar einfachen Worten diesen idiotischen Muskelprotz in die Knie zwingen konnte, dass er keinen Gedanken an die mögliche Gefahr für sich selbst verschwendete. Er redete weiter auf ihn ein, während er hinter seinem Rücken mit dem Knoten des Lakens kämpfte, der sich endlich ein bisschen gelockert hatte.
»Es muss so furchtbar gewesen sein, Michael! So unsagbar traurig. Willowsend… das Haus… der See… das eiskalte Wasser… du schaffst es nicht mehr zum Boot… du hast keine Kraft mehr… du sinkst in die Tiefe… du versuchst zu atmen… Wasser füllt deine Lungen… du erstickst, Michael… du erstickst… du…«
George erschrak, als Michael sich ruckartig aufrichtete und nach Luft schnappte. Ein Röcheln drang aus seiner Kehle. Auf einmal war er und alles, was er am Leib trug, klatschnass. Unter ihm breitete sich eine große Wasserpfütze aus.
Michael hatte den Kopf in den Nacken geworfen, die Augen panisch weit aufgerissen und die Arme zur Decke gestreckt. Seine Hände griffen nach etwas Unsichtbarem und ein Schwall Wasser nach dem anderen quoll aus seinem Mund.
George zerrte mit aller Kraft an dem verknoteten Laken, während er gleichzeitig bemüht war, keine Sekunde von dem faszinierenden Schauspiel zu verpassen.
»Michael, vielleicht sollten wir… Michael!« Annabel stand in der Tür. Sie brauchte nicht lange, um zu begreifen, was geschah. »Michael!« Sie stürzte auf ihn zu und packte ihn an den Schultern. Sie rief immer wieder seinen Namen und schüttelte ihn. »Michael, bleib hier! Hörst du mich? Du bist in Sicherheit. Michael! – Verdammt, was hast du mit ihm gemacht?« Sie schrie George an, aber der grinste nur und warf sich auf dem Stuhl hin und her.
»Michael! Sag doch was!« Annabel zerrte Michael vom Stuhl auf den Boden, drehte ihn auf den Bauch und seinen Kopf zur Seite. Wie leblos lag er da, während erschreckende Mengen an Wasser aus seinem Mund flossen. Nur ein schwaches Zucken seiner Lider über den starren Augen und ein kaum wahrnehmbares Heben und Senken der Brust zeigten, dass er noch lebte. Annabel drückte mit beiden Händen auf seinen Rücken und hoffte, das Wasser aus ihm herauspumpen zu können. »Gib jetzt nicht auf, Michael! Wehe, du lässt mich hier allein! Komm schon! Komm wieder zurück! Das ist nur ein böser Traum! Ich brauche dich, Michael! Bitte! Ich liebe…«
Michaels Augen bewegten sich. Seine Lider schlossen und öffneten sich. Er stützte seine Arme auf den Boden und stemmte den zuckenden Körper nach oben. Auf Händen und Knien würgte er das Wasser aus sich heraus. Er rang nach Luft und hustete sich die Seele aus dem Leib. Er zitterte erbärmlich. Annabel hielt ihn die ganze Zeit fest und streichelte über seinen Kopf.
Endlich! George erhob sich von seinem Stuhl und ließ das Laken auf den Boden fallen. Er trat dicht an die beiden heran. Dann ging er langsam zur Tür. Er blieb noch einmal stehen, weil er wollte, dass Annabel ihm in die Augen sah. Als sie ihn bemerkte und sich zu ihm umdrehte, sagte er: »Es ist noch nicht vorbei.«
Dann rannte er den Gang hinunter in Richtung Treppenhaus.
46
»Wo ist George?«, fragte Michael und trank einen Schluck Wasser. Er saß in Mantel und Decken gehüllt vor dem brennenden Kamin und zitterte leicht.
»Ich weiß nicht. Ich will es auch nicht wissen. Ich will nicht einmal an ihn denken.« Aus Angst, George könnte wieder zurückkommen, hatte Annabel die Tür zum Aufenthaltsraum verschlossen. Niemals hätte sie gedacht, dass von allen Schrecken George derjenige sein könnte, vor dem sie sich am meisten fürchten würde.
»Wie geht es dir?«
»Noch ein bisschen kalt. Aber es geht schon. – Schönes Feuer, Anna!« Michael grinste.
Annabel verzog das Gesicht, als sie an ihre verzweifelten Bemühungen dachte, das Feuer zu entzünden. Es war immer wieder ausgegangen. Sie hatte mit einem Holzscheit fluchend auf den Kamin eingeschlagen und ein
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