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Remember

Remember

Titel: Remember Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Roland Jungbluth
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diesem Moment im Haus waren und noch etwas viel Schlimmeres planten?
    Annabel dachte an den gestrigen Abend und wie sich ihre anfängliche Freude darüber, dass Michael und George das Rätsel gelöst hatten, bald wieder in Luft aufgelöst hatte.
    Denn das Rätsel konnte nur eins bedeuten: Sie mussten wieder nach London zurück. Und zwar mit leeren Händen.
    Als sie das begriffen hatte, hätte sie einfach nur noch heulen können. Sie hatte so sehr gehofft, dass sie im Haus am See Antworten auf ihre vielen Fragen finden würden. Doch stattdessen gab es nur neue Schrecken, neue Rätsel und neue Fragen. Und ein neues Ziel. George hatte seinen zynischen Senf dazugegeben. »Habt ihr wirklich geglaubt, wir finden das Haus und damit sei alles erledigt und wieder so wie früher?« Wie verächtlich er dabei geklungen hatte. Und als er dann auch noch wie ein emotionsloser Roboter davon gesprochen hatte, dass Katzen auch mit Mäusen spielen, bevor sie sie töten, wäre sie ihm am liebsten an die Kehle gesprungen. Doch sie hatte sich damit begnügt, alleine und fluchend eine Runde um den See zu machen. Nach ihrer Rückkehr hatte Eric gekocht und sogar ein paar Kerzen auf den Tisch gestellt. Eine liebe, versöhnliche Geste, damit sich ihre Gemüter wieder beruhigten. Aber sie hatte das Essen nicht genießen können. Erst als Michael später am Abend überraschend ihre Hand genommen und mit ihr auf den Bootssteg gegangen war, hatte sie wieder so etwas wie einen inneren Frieden gefunden.
    Sie hatte lange mit Michael die Frage diskutiert, ob sie wirklich nach London zurückmussten. Denn dort würde alles vielleicht noch viel schlimmer werden.
    »Aber wir haben keine andere Wahl«, hatte Michael immer wieder betont und Annabel wusste im Grunde ihres Herzens, dass er recht hatte. Aber trotz ihrer inneren Überzeugung hatte George es geschafft, dass sich seine grässlichen Gedanken auch bei ihr einnisteten und neue Schreckensszenarien heraufbeschworen.
    Was, wenn ihnen wirklich jemand nach dem Leben trachtete? Was, wenn sich die Unbekannten nicht mehr damit zufriedengaben, ihnen nur Angst zu machen? Nur so ein extremes Ziel würde nach Georges Meinung diesen extremen Aufwand rechtfertigen. Aber war so etwas wirklich möglich? Oder war auch diese Erklärung wieder nur eine Sackgasse?
    Vielleicht war es endlich an der Zeit, die Augen zu öffnen und sich damit abzufinden, dass sie niemals Antworten auf ihre Fragen erhalten würden. Und zu erkennen, dass der Grund dafür ebenso naheliegend wie furchtbar war. Nämlich, dass ihre Flucht aus der Anstalt nichts weiter war als der jämmerliche Versuch, sich selbst zu belügen. Weil sie in Wahrheit alle wahnsinnig und in einem endlosen Fiebertraum gefangen waren, aus dem es kein Erwachen gab.
    Annabel hielt ihre Hand an den weißen Schirm der Nachttischlampe, bis die Hitze unerträglich wurde. Der Schmerz brachte sie auf andere Gedanken und machte ihr klar, dass sie nicht träumte.
    Das Schlafzimmer von Michaels Eltern muss einmal wirklich gemütlich gewesen sein, dachte sie, während sie leise vom Bett aufstand. Jetzt erschien es ihr trostlos und leer. Außer ein paar zurückgelassenen Kleidern gab es hier keine persönlichen Dinge mehr, so wie in allen anderen Räumen. Annabel fragte sich, ob die Familie jemals daran gedacht hatte, hierher zurückzukehren. Sie konnte es sich nicht vorstellen.
    Sie verließ das Schlafzimmer und ging auf knarrenden Dielen den erleuchteten Flur entlang. Überall im Haus brannten in dieser Nacht Lichter, nicht nur für Annabel.
    Ihr Herz klopfte heftig, als sie die Treppe hinunterschritt und einen ängstlichen Blick in die Küche warf. Aber zum Glück standen auf dem Tisch nur ein paar schmutzige Teller vom Abendessen.
    Sie ging weiter ins Wohnzimmer und blieb vor der Couch stehen. Zwei kleine Lampen rechts und links über dem Kamin sorgten für eine ausreichende Beleuchtung. Michael lag zusammengerollt in eine dünne Decke gehüllt auf der Couch, atmete ruhig und sah mit seinem zerzausten Haar aus wie ein kleiner Junge. Sein Anblick gab Annabel wieder etwas Mut und das Gefühl, nein, die Gewissheit, dass es außerhalb von Chaos und Wahnsinn noch etwas anderes gab, etwas Normales, Schönes, für das es sich zu kämpfen lohnte. Und am liebsten hätte sie sich jetzt neben ihn gekuschelt, um in seinen Armen einzuschlafen. Was spielte es schon für eine Rolle, dass sie sich erst seit sechs Tagen kannten. Das, was sie gemeinsam erlebt hatten, reichte bereits für ein

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