Remember
Botschaft war eindeutig.
»Wo Licht und Farben zu Geschichten werden, kann nur ein Einziger Erlösung finden. Ihr entscheidet, wer es sein wird«, las er leise vor. Er ließ das Foto sinken. »Michael, was soll das? Wir…«
»Versprich mir, dass du Anna noch nichts davon erzählst.«
»Aber…«
»Versprich es mir!«
Eric sah Michael in die Augen. Sein Verhalten machte ihm Angst. Aber er war sein Freund und er vertraute ihm. Deshalb gab er Michael das Versprechen.
42
Annabel stieg von der Fensterbank und nahm noch einmal die letzte Botschaft aus ihrer Manteltasche. Wenn das Ende naht, ist der Schlüssel nur ein Spiel. Noch drei Tage, las sie und fuhr mit dem Finger über die Buchstaben. Also gut, wenn dies das Ende ist, dachte sie, dann gab es jetzt eigentlich nur noch zwei Fragen, die wichtig waren. Was würde am Ende mit ihnen geschehen, wenn das Ultimatum ablief und die Astronauten wieder auf der Erde landeten? Und wie sollten sie die ihnen verbliebene Zeit am besten nutzen?
Auf die erste Frage wusste Annabel keine Antwort. Doch die Antwort auf die zweite Frage betrat gerade den Raum.
Als die Jungs in den Aufenthaltsraum zurückkehrten, nahm sie Eric beiseite, flüsterte ihm etwas ins Ohr und küsste ihn anschließend auf die Wange. Dann ging sie rüber zu Michael, lächelte ihn an, nahm wie selbstverständlich seine Hand und führte ihn nach draußen. Dass Michael sie nur verwundert anschaute und schwieg, war ihr in diesem Augenblick ganz recht. Ein falsches Wort von ihm – und ihr Mut hätte sie auf der Stelle verlassen.
»Wir gehen in den Park«, sagte sie und versuchte, das heftige Pochen ihres Herzens in den Griff zu bekommen. »Ist so ein herrlicher Tag heute.«
Als sie die Haupttreppe erreichten und Annabel die abgenutzten Stufen sah, blieb sie stehen. Wie viele verzweifelte Menschen hier wohl rauf- und runtermarschiert waren? Und alle hatten sie ihre Spuren hinterlassen.
»Weißt du, als ich zum ersten Mal diese Treppe hinuntergegangen bin, mit Schwester Shelley, da dachte ich, dass alles wieder gut werden wird. Ich dachte, man würde mich zu meinen Eltern bringen und alles würde sich aufklären.« Annabel ließ Michaels Hand los und sprang mit beiden Füßen gleichzeitig eine Stufe hinunter. Dann die nächste und die nächste. Und sie stampfte dabei mit aller Kraft auf, hoffte, die Stufen würden zerbrechen unter ihrem Gewicht.
»Anna?«, fragte Michael und klang besorgt. Sein erstes Wort, seit sie den Aufenthaltsraum verlassen hatten.
»Ich will auch meine Spuren hinterlassen«, sagte Annabel. »Sie sollen wissen, dass ich hier gewesen bin.«
»Ich hab da eine bessere Idee.« Michael fischte einen Kugelschreiber aus der Manteltasche und schrieb auf die Wand: Annabel, Eric und Michael waren hier. Und sie fanden es scheiße!
Annabel ging zu Michael und zog ihm den Stift aus der Hand. Dann zeichnete sie um die drei Namen ein großes Herz. »Annabel, Michael und Eric waren hier«, las sie laut vor. Und sie haben überlebt, fügte sie in Gedanken hinzu. Denn jeder weiß doch, dass Wünsche nicht in Erfüllung gehen, wenn man sie laut ausspricht.
Annabel stand eine Stufe über Michael, sie waren jetzt fast gleich groß. Sie steckte ihm lächelnd den Stift in die Tasche, legte den Kopf zur Seite und betrachtete die dunklen Bartstoppeln. Noch nicht sehr dicht, dachte sie, aber bald. Ob sie wohl kratzen würden, wenn sie ihn jetzt küsste? Er wirkte älter als noch vor ein paar Tagen, erwachsener, anziehender. Ihre Finger folgten den Konturen seines Gesichts, nur Millimeter von ihm entfernt, noch zu ängstlich, um ihn wirklich zu berühren.
Michael sah sie liebevoll an. Aber Annabel erkannte auch die Traurigkeit in seinem Blick, die für kurze Zeit verschwunden und nun zurückgekehrt war. War es wegen der Akten und der Fotos? Oder wegen Rebecca? Warum erzählte er ihr nichts davon? Wusste er noch immer nicht, dass er ihr alles sagen konnte? Einfach alles?
Aber vielleicht musste sie nur den Anfang machen.
»Michael, ich will dir was sagen, ich…« Sie wollte es ihm sagen, so gerne sagen, solange sie noch Zeit hatte. Aber es war furchtbar schwer. Und was, wenn sie sich irrte, was seine Gefühle für sie anging?
Im Park. Ich sag es ihm im Park. Sie nahm wieder seine Hand und ging mit ihm ins Erdgeschoss.
Hallo, mein Kleiner! , dachte Annabel, als sie plötzlich vor sich den kleinen rot-weißen Ball wiedersah, hüpfend und rollend und ohne freien Willen. Sie befahl ihm in Gedanken, stehen zu
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