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Remember

Remember

Titel: Remember Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Roland Jungbluth
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also unmöglich.
    Michael öffnete den Rahmen und entnahm das Foto. Als er es umdrehte, sah er, dass auf der Rückseite etwas geschrieben stand: 240719691650 Wo Licht und Farben zu Geschichten werden, kann nur ein Einziger Erlösung finden. Ihr entscheidet, wer es sein wird.
    »Oh, bitte nicht!«, flüsterte Michael.
    Fast eine Minute lang saß er wie versteinert da und starrte auf die Botschaft. Dann nahm er den Kugelschreiber vom Schreibtisch und notierte etwas auf einem Stück Papier. Mit Gedanken schwer wie Blei verließ er anschließend das Zimmer.
    Annabel saß auf der Fensterbank, knabberte an einem trockenen Stück Weißbrot und wartete darauf, dass die Jungs zurückkamen.
    Sie hatten sich in den Aufenthaltsraum zurückgezogen und sich dort, soweit es eben ging, vor dem Kamin eingerichtet. Die Tische und Stühle hatten sie beiseitegeschoben und drei Betten aus den leeren Patientenzimmern geholt. Anschließend hatte Annabel zusammen mit Eric Dr. Parkers Zimmer durchsucht. Gefunden hatten sie nichts. Annabel hatte nicht nachgefragt, warum die Tür auf einmal offen gewesen war. Die Spuren, die Michaels Wutanfall hinterlassen hatte, sprachen für sie eine deutliche Sprache.
    Inzwischen trugen sie alle wieder die Anstaltskleidung, wegen der Kälte sogar zwei Schichten übereinander, und dazu noch ihre Mäntel. Annabel stellte fest, dass die grauen Klamotten eigentlich ganz praktisch waren und weniger hässlich, wenn man sie freiwillig trug.
    Eric hatte sich im Waschraum etwas frisch machen wollen und auch Michael war ihm kurz danach ohne jede Erklärung gefolgt. Überhaupt war Michael seit dem Vorfall in der Verwaltung völlig verändert.
    Er hatte seitdem kaum ein Wort gesagt. Aber sie konnte es ihm eigentlich nicht verdenken. Niemand von ihnen hatte Lust, über die Krankenakten oder Familienfotos zu reden. Seit sie erkannt hatten, dass sie sich mit all ihren Theorien und Diskussionen doch nur im Kreis bewegten, hatten Worte irgendwie ihre Bedeutung verloren. Und sie hatte eine Leere in sich gespürt, die so beängstigend und verstörend gewesen war, dass sie sich das Ende geradezu herbeisehnte. Allein Erics Anblick, der wie ein Häufchen Elend neben ihr auf dem Boden gekauert hatte, hatte sie in diesem Moment vor Dummheiten bewahrt. Doch dann war etwas Merkwürdiges geschehen. Während sie versucht hatte, Eric zu trösten, hatte sich die Leere langsam in etwas anderes verwandelt. Nicht in Abgestumpftheit oder Resignation, es war vielmehr ein seltsames Gefühl von Freiheit. Dieses Spiel oder wie immer man es nennen mochte, was mit ihnen geschah, war nie fair gewesen. Und vielleicht war es genau das, was sie herausfinden sollten, der einzige tiefere Sinn.
    Der Preis allerdings, den sie für diese simple Erkenntnis hatten zahlen müssen, war einfach zu hoch gewesen – er war unmenschlich.
    Annabel blickte hinunter auf den Park und entdeckte in der gespenstischen Szenerie mit einem Mal auch die Schönheit einer herbstlichen Landschaft. Sie hatte den Herbst und seine Farben immer gemocht. Leider verblasste das bunte Laub unter dem dichter werdenden Nebel zusehends und wurde stumpf und grau. Trotzdem lächelte sie, als sie plötzlich an eines dieser Wechselbilder denken musste, in dem man in der einen Sekunde einen Hasen und in der nächsten eine Ente sah. Komisch.
    Sie nahm einen Schluck Wasser und spülte die klebrigen Reste des Weißbrots aus ihrem Mund.
    Annabel schaute zur Tür und wurde langsam nervös. Die beiden Jungen waren bestimmt vor einer halben Stunde in den Waschraum gegangen. Wo blieben die zwei nur?
    Eric wollte gerade den Waschraum verlassen, als er von Michael gestoppt und unsanft zurückgedrängt wurde.
    »Geht’s noch?«, beschwerte er sich.
    »Ich muss mit dir reden.«
    »Das Gefühl habe ich allerdings auch«, sagte Eric. »Was ist los mit dir? Seit du vorhin aus der Verwaltung gestürmt bist, hast du keinen verdammten Ton mehr von dir gegeben. Du bist nicht der Einzige, der sich beschissen fühlt. Vergiss das nicht.«
    Michael schüttelte den Kopf. »Nein, das ist es nicht«, sagte er und zog das Foto aus seiner Tasche.
    »Was ist das?«
    »Ich hab es in Dr. Parkers Zimmer gefunden.«
    »Weiß Anna davon?«
    »Nein.«
    »Warum…?
    »Schau’s dir an!«
    »Meinetwegen. Gib her… Verdammt, Michael, das sind wir. Am See. Aber wie…«
    »Vergiss das Foto. Dreh es um!«
    Eric schaute sich die Rückseite an. Er konnte mit der Zahlenreihe auf den ersten Blick nichts anfangen. Aber der Kern der

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