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Remember

Remember

Titel: Remember Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Roland Jungbluth
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das Feuer in einem Leuchtturm. Und nicht weniger war sie für ihn. Sie hatte ihm eine neue Orientierung geschenkt und ihn davor bewahrt, an den scharfen Klippen seiner Trauer zu zerschellen. Sollte das etwa alles umsonst gewesen sein?
    Er wusste, was sie ihm sagen wollte. Schon als sie sich auf der Treppe in die Augen geschaut hatten, hatte er es gewusst. Aber er hatte Angst davor, es zu hören, und noch mehr, es zu erwidern. Er durfte ihr keine Hoffnungen machen, die sich doch nie erfüllen würden. Zumindest dieses Leid konnte er ihr ersparen.
    Seine Hand berührte das Foto, das ein Loch in seine Tasche zu brennen drohte. Dies war schlimmer als das Ultimatum, grausamer als alles, was ihnen bisher zugestoßen war.
    Michael ging auf Annabel zu, wollte sie trotz aller Bedenken in den Arm nehmen, als ein nervenzerfetzendes Geräusch die Stille zerschnitt. Die Sirene, die bereits ihre Flucht in einen Albtraum verwandelt hatte, schwellte plötzlich auf und ab, wurde lauter und lauter und klang noch angsteinflößender, als Michael es in Erinnerung hatte.
    Annabel war mitten in der Bewegung erstarrt. Er sah, wie sie ihren Mund bewegte, konnte aber keines ihrer Worte verstehen. Er ging zu ihr und schlang ganz fest die Arme um sie.
    Bitte, nicht die Hunde. Michael blickte sich hektisch um. Jetzt erst bemerkte er, dass das Haus durch den dichten Nebel kaum mehr zu sehen war. Falls etwas oder jemand sie in diesem Moment angreifen sollte, waren sie vollkommen hilflos. Der Nebel machte sie fast blind und die Sirene übertönte jedes andere Geräusch.
    Auf einmal deutete Annabel nach oben. Michael hob den Kopf und sah, wie sich der Nebel über ihnen auflöste und ein strahlend blauer Himmel zum Vorschein kam. Doch das war erst der Anfang. Mit weit aufgerissenen Augen wurden sie Zeugen, wie die Sonne zweimal über den Himmel wanderte und wie der Mond in sternenklaren Nächten zweimal auf sie herabschien. Und das alles innerhalb weniger Sekunden.
    Als es vorbei war und auch die Sirene endlich verstummte, zog sich der Nebel über ihren Köpfen wieder zusammen. Dichter und bedrohlicher als zuvor.
    Michael hatte so etwas noch nicht gesehen. Der Nebel um sie herum hatte sich zu einer riesigen weißlichgrauen Wand aufgetürmt. Sie war keinen Meter mehr von ihnen entfernt und schien so undurchdringlich wie ein harter Wall aus Beton. Ein Wall, der von Sekunde zu Sekunde näher rückte. Michael streckte die Hand danach aus und fühlte eine feuchte, eisige Kälte.
    Und als sie vollkommen eingeschlossen waren und nicht einmal die Hand vor Augen sehen konnten, gellte ein panischer Schrei durch den Nebel.
    Eric hatte alles mitangesehen. Jetzt stand er wie versteinert am Fenster, unfähig, etwas zu denken oder zu fühlen. Seine Atmung war flach, kaum wahrnehmbar. Er blinzelte nicht einmal. Erst als er spürte, wie jemand seine Schulter berührte, bäumte sich sein Körper auf und das Leben kehrte schlagartig in ihn zurück. Doch es trug so viel Chaos, Verzweiflung und Angst mit sich, dass er nicht anders konnte, als um sein Leben zu schreien. Er schrie, als hätte das Spektakel am Himmel das Ende der Welt angekündigt. Doch als er sich panisch umdrehte, erstarb der Schrei in seiner Kehle.
    »George?« Er starrte die Gestalt vor ihm an wie eine Erscheinung. »Bist du das wirklich? Oh mein Gott! Wo kommst du plötzlich her? Wo bist du gewesen?«
    Eric konnte sehen, wie George zitterte. Er trug noch immer seine dünne Hose und sein kurzärmeliges Hemd.
    George legte Eric eine Hand auf die Brust und sah sich hastig um. Er war blass und sprach sehr leise und eindringlich. »Hör mir zu, Eric! Es waren zwei Männer, gleich an der ersten Zwischenstation. Ich wollte auf die Toilette, da haben sie mich gepackt und aus dem Zug gezerrt. Sie haben gedroht, mir wehzutun, wenn ich nicht mache, was sie sagen. Dann haben sie mich in ein Auto gesteckt und weggebracht.«
    »Wohin?«
    »Keine Ahnung, welches Ziel sie hatten. Und ich weiß noch immer nicht, was das für Leute sind. Ich bin ihnen entwischt, als sie an einer Tankstelle halten mussten. Dann bin ich per Anhalter nach London gefahren.«
    Wieder sah George hektisch über seine Schulter in Richtung Tür, dann legte er seinen Mund ganz dicht an Erics Ohr und flüsterte mit rauer Stimme: »Eric, sie sind hinter mir her! Hinter uns allen. Wir sind in Gefahr, in großer Gefahr!«
    »Annabel und Michael sind noch da draußen«, sagte Eric aufgeregt und wollte an George vorbei. »Wir müssen sie

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