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Remes, Ilkka - 2 - Hochzeitsflug

Remes, Ilkka - 2 - Hochzeitsflug

Titel: Remes, Ilkka - 2 - Hochzeitsflug Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ilkka Remes
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Absturz, während er den Oberkörper absenkte. Zentimeter für Zentimeter näherte sich sein Kopf dem Gitter, und das Blickfeld vergrößerte sich. Er spürte einen Schweißtropfen von der Stirn auf die Nase rinnen und sah ihn in dem Moment aufs Gitter tropfen, als unter ihm ein Gabelstapler mit einer Leiche vorüberfuhr.
    Christians Blick richtete sich auf das Bündel. Unter dem Plastik zeichneten sich ein lebloses Gesicht mit glasigen Augen und ein über und über mit Blut beschmierter, zerschmetterter Körper ab. Das Gitter knirschte bedrohlich, und Christian hatte Angst, es könne sich lösen. Seine Arm-und Beinmuskeln zitterten immer haltloser. Er sah den Gabelstapler vor einem großen Behälter anhalten und die Gabel mit seiner Last anheben. Die Gabel kippte nach vorn, und das Bündel rollte hinab. Man hörte ein Aufklatschen. Der Gabelstapler fuhr davon, und der nächste kam mit seiner Fracht an dieselbe Stelle.
    Christian konnte es keine Sekunde länger in seiner schwierigen Position aushalten und fing an, sich nach oben zu ziehen. Aber sogleich erstarrte er auf der Stelle, da er unten auf einmal Stimmen vernahm.
    »... vierzig sind noch übrig«, sagte jemand in amerikanischem Englisch. »Die zu verarbeiten dauert sechs Stunden.«
    »Kann der Prozess nicht beschleunigt werden?«, fragte eine zweite Stimme. Zwei Männer blieben unter Christian stehen. Er sah die Schulter des einen, die in einem seltsamen orangen Overall steckte.
    »Nein. Die Säure muss in regelmäßigen Abständen gewechselt werden.« Christian spürte erneut einen Schweißtropfen in Richtung Nasenspitze rinnen. »Der Doktor sagt, innerhalb von zwei Stunden bekommen wir noch drei dazu. Nimm die in deine Rechnung auf.«
    Der Schweißtropfen löste sich von Christians Nase. Der Tropfen fiel wie in Zeitlupe aus der Dunkelheit ins Licht und blitzte dabei auf. Voller Entsetzen sah Christian ihn auf der Schulter des Amerikaners zerplatzen. Er rechnete damit, dass der Mann zuckte und nach oben schaute, aber die Schulter blieb, wo sie war.
    »Wie viele sind am Leben?«, fragte der Amerikaner seinen Kollegen.
    Die Frage wirkte wie ein Elektroschock auf Christian.
    Am Leben.
    »Sechs.«
    »Sollte man deren ... Behandlung nicht beschleunigen?«
    »Doug will das nicht. Er hält das für unethisch.«
    Der andere Mann lachte trocken. Die Schulter verschwand aus Christians Blickfeld. Er nahm seine Kräfte zusammen und machte sich daran, nach oben zu steigen. Seine Muskeln brannten, aber sein Gehirn funktionierte einwandfrei. Es wurde von der Information genährt, dass noch Opfer des Unglücks am Leben waren - aber nicht mehr lange. Sollte man deren . . . Behandlung nicht beschleunigen? Doug will das nicht. Er hält das für unethisch.
    Der Aufstieg war mühsam, Christians Kräfte begannen allmählich zu versiegen, aber er zwang sich Zentimeter für Zentimeter nach oben. Sie vernichteten die Leichen durch Säure. Warum? Er befürchtete, man könne sein Keuchen bis nach unten hören, aber das Geräusch der Gabelstapler bot akustische Deckung.
    Luc stand hinter einem dicken Baum und beobachtete das heruntergekommene Haus, dessen Ziegeldach stellenweise mit rostigen Blechstücken ausgebessert worden war. Bis jetzt hatte sich rings um das Haus nichts gerührt. Mit größter Wahrscheinlichkeit barg es in seinem Inneren Material, das Licht in das Geheimnis des Neuen Morgens bringen könnte. Bei Tageslicht wirkte die Atmosphäre ebenso bedrohlich wie im Dunkeln. Mit pochendem Herzen betastete Luc das Klappmesser in seiner Tasche. Er mochte das Gefühl der Anspannung nicht und war froh, dass seine Beratungstätigkeit für den inneren französischen Geheimdienst DST auf Eis lag. Da er auf eigene Rechnung arbeitete, konnte er selbst entscheiden, was er tat und wie er dabei vorging. Die Abteilung des DST, die für die Beobachtung von Sekten und Kulten zuständig war, kaufte viele Leistungen bei externen Fachleuten wie Luc, anders als etwa das Cult Response Team des FBI in den Vereinigten Staaten. Die Kooperation mit dem DST war, wegen zweier Dinge ins Stocken geraten: wegen Lucs Vorstrafenregister und wegen der psychiatrischen Behandlung, der er sich einst hatte unterziehen müssen, als er sich von den Kindern der Erde löste.
    Vorsichtig ging Luc näher an das Gebäude heran und blieb dann erneut stehen, um die Umgebung zu beobachten. Nirgends Anzeichen von Menschen. Er fragte sich, was Sara sagen würde, wenn sie von seinem einjährigen Psychiatrieaufenthalt

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