Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Remes, Ilkka - 2 - Hochzeitsflug

Remes, Ilkka - 2 - Hochzeitsflug

Titel: Remes, Ilkka - 2 - Hochzeitsflug Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ilkka Remes
Vom Netzwerk:
erführe. Sollte er ihn besser verschweigen?
    Er schlich an die Hauswand heran und schluckte, um seine trockene Kehle zu befeuchten. Das Fenster mit dem beschädigten Fensterladen war ihm schon bei seinem ersten Besuch aufgefallen; an der einen Seite fehlten zwei Bretter. Er spähte vorsichtig durch den Spalt. In dem sauberen Raum standen drei Betten, ein Schrank und ein kleiner Tisch. Luc schlich an der Wand entlang weiter. Rankender Efeu nahm sie fast komplett ein. Am nächsten Fenster waren die Läden unversehrt.
    Luc blieb stehen. Ihm war, als hätte er ein gedämpftes Klagen aus dem Haus gehört. Er legte ein Ohr an die abblätternde Farbe des Fensterladens, hörte aber nichts mehr. Er ging weiter an der Wand entlang und um die Ecke zur Vorderseite des Hauses. Die Haustür war abgeschlossen. Luc kehrte wieder zu dem beschädigten Fensterladen zurück. Das Zimmer dahinter war wenigstens leer gewesen.
    Er ergriff den Laden und prüfte, ob er sich bewegen ließ. Nein, er war von innen mit einem Haken befestigt. Luc packte das untere Brett und zog mit einer heftigen Bewegung daran. Die gesamte untere Hälfte des Ladens löste sich mit einem Krachen. Nur der Haken hielt ihn noch, aber auch der gab nach, als Luc noch einmal an dem schweren Holzladen riss. Anschließend horchte er einige Sekunden. Nichts als Stille. Er sah nach, ob das Fenster ebenfalls mit einem Haken verschlossen war. Nein, es ging knarrend auf, und er konnte einsteigen. Mit einem unangenehmen Gefühl ging er durch das Zimmer auf die Tür zu und öffnete sie, ohne zu zögern. Wenn jemand im Haus war, würde er das laute Krachen des Fensterladens gehört haben.
    Die halbdunkle Eingangshalle hatte einen Steinboden und war kühl. In der Luft lagen eine muffige Feuchtigkeit und der Geruch von gebratenen Zwiebeln. Luc machte die nächste Zimmertür auf und erschrak heftig. In einer Ecke des kleinen Raums lag ein junger Mann im Bett.
    »Wer bist du?«, fragte der Junge in breitem amerikanischem Englisch. Er lag auf der Seite und schaute Luc mit leerem Blick an. Vermutlich war er nicht einmal zwanzig Jahre alt.
    »Ich bin ein Freund.« Lucs Blick glitt über die gefesselten Beine des Jungen, als er zum Bett eilte. Die zitternden Hände des jungen Mannes waren ihm auf dem Rücken verbunden. Seine schwarzen, welligen Haare breiteten sich über das schmutzige Kissen aus.
    »Sind noch mehr Leute im Haus?«, fragte Luc.
    »Nein. Aber die verrückte Frau wird bald zurückkommen.«
    Luc nahm das Klappmesser aus der Tasche und machte sich daran, die Nylonfesseln aufzuschneiden. Die Schnüre hatten die Haut wund gescheuert, weshalb er vorsichtig zu Werke gehen musste. Als er zu den Handgelenken überging, bemerkte Luc Stichwunden unter dem Ärmel des Jungen. Er schob den Ärmel etwas höher und sah den Unterarm: Er war über und über mit Stichwunden, Schorf und blauen Flecken übersät. »Sind die Leute bewaffnet?«, fragte Luc aufgeregt und fing an, die Fasern der Nylonschnur um die Handgelenke aufzutrennen. Der Junge war blass und voll kaltem Schweiß.
    »Zumindest haben sie Messer. Und Äxte.«
    Luc bemerkte den intensiven Blick des Jungen auf die Kommode an der gegenüberliegenden Wand und schaute ebenfalls hin. An dem Möbelstück war nichts Auffälliges zu erkennen.
    »Wie heißt du?«, fragte Luc.
    »Martin Weinstaub.«
    Luc erschrak. »Ist Jacob Weinstaub ... ein Verwandter von dir?«
    »Er ist mein Vater.«
42
    Schließlich hatte Luc die starke Nylonschnur durchtrennt, und Martin löste mit einem Ruck die Hände voneinander. Draußen hörte man ein Auto vorfahren. Taumelnd stand Martin auf, ging mit instabilen Schritten zur Kommode, riss die oberste Schublade auf und entnahm ihr mit zittrigen Fingern einen Plastikbeutel, in dem eine Spritze zu erkennen war.
    In diesem Augenblick durchschaute Luc die Konstellation. Die Leute vom Neuen Morgen hatte den Jungen gefesselt, um zu verhindern, dass er an seine Drogen kam. Brutale, rituelle Zwangsbehandlung. Wie in Russland, wo Drogensüchtige mit Gewalt auf Entzug gesetzt wurden.
    Luc packte Martin grob an der Schulter, aber der Junge riss sich los und schob den Ärmel nach oben. Das Zittern war schlimmer geworden, in seinen Augen lag ein völlig ausdrucksloser Blick. Der junge Mann war aus der wirklichen Welt geflohen und hatte sich im Labyrinth zahlloser Sinnestäuschungen und schmerzhafter Entzugserscheinungen verirrt.
    »Komm.« Luc nahm den Jungen fester in den Griff. Draußen fielen die Türen des Autos

Weitere Kostenlose Bücher