Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Remes, Ilkka - 2 - Hochzeitsflug

Remes, Ilkka - 2 - Hochzeitsflug

Titel: Remes, Ilkka - 2 - Hochzeitsflug Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ilkka Remes
Vom Netzwerk:
kratzte über den Fels und schwebte im Wind den Schaumkronen des Meeres entgegen. Schwer schluckend schob Christian den Fuß in eine Felsspalte und griff mit der gesunden Hand nach einem hervorstehenden Stein.
    Der Schmerz des Hundebisses verstärkte das Schwindelgefühl weiter und brachte Christians gesamtes Sehfeld ins Schwanken. Er schloss die Augen und hielt sich noch verzweifelter an dem Stein fest. Das war schwer, denn der Stein war rund und glatt. Es kam Christian vor, als wollte eine unwiderstehliche Kraft ihn von der Wand stoßen, in die Tiefe und in den Tod. Da fiel ihm ein, dass ihn womöglich jemand von oben beobachtete. Er zwang sich, die Augen zu öffnen, und schaute hinauf. Zehn Meter weiter oben ging der Fels in ungleichmäßigen Beton über. Dazwischen gab es nur wenige Felsvorsprünge, und falls jemand von dort oben im richtigen Winkel nach unten spähte, würde man Christian entdecken.
    Zögernd tastete er sich weiter. Zentimeter für Zentimeter, Strauch für Strauch, Stein für Stein näherte er sich dem weniger steilen Abschnitt des Hangs.
44
    Orlov krs. Nachdenklich stand Coblentz auf dem höchsten Punkt des Adlerfelsens, am Aussichtspunkt der Küstenfestung Bukovica. Weit unten schlug die Brandung gegen die Uferfelsen. Vor ihm tat sich ein bläulich dunstiges Panorama auf. Schattige Bergketten, das weite Meer und schwarze Wolken; man hatte das Gefühl, sich am äußersten Rand der Welt zu befinden. Coblentz gefiel dieser Ort, aber die Situation, in der sie sich befanden, gefiel ihm nicht.
    Die Möwen kreischten unruhig. Mit ausgespannten Flügeln zogen sie weite Kreise und drehten den Kopf, als suchten sie etwas. Sie waren zu weit oben, um mit einem abrupten Sturzflug nach einem Fisch zu schnappen. Hatten sie etwas Außergewöhnliches entdeckt?
    Coblentz trat näher an den Abgrund heran, stützte sich auf das rostige Geländer und schaute nach unten. Ein Felsvorsprung verdeckte die Sicht auf einen schmalen Sektor. Er hob einen faustgroßen Stein vom Betonboden auf und warf ihn hinunter. »Nichts«, sagte Rockler, der neben ihn getreten war.
    Coblentz starrte nach unten. »Setzt die Suche fort. Und fangt an, mit dem Helikopter die Umgebung abzusuchen.«
    Rockler ging. Coblentz zog das Diktiergerät aus der Manteltasche und drückte die Wiedergabetaste.
    »Haben Sie vorgegaukelt, dass das Fehlen der Kassette im Versteck eine Überraschung für Sie war?«, wurde auf dem Band gesagt.
    »Natürlich nicht ... Es war eine Überraschung für mich ...«
    Coblentz hörte das Band weiter ab. Je öfter er Brucks Antworten hörte, desto mehr war er davon überzeugt, dass der Mann wirklich nicht wusste, wo sich die Kassette befand und dass er von dem Band auch nicht mehr als ein paar ungefährliche Bilder gesehen hatte. Man musste sich auf die Ehrlichkeit verlassen, die durch das Tiopental erzwungen worden war.
    In dieser Situation schätzte Coblentz Ehrlichkeit ausnahmsweise, normalerweise verachtete er sie. Ehrlichkeit machte den Menschen schwach, denn Wahrheit schränkte ein. Ehrlich durfte man nur sich selbst und seinen eigenen Zielen gegenüber sein. Coblentz schaltete das Aufnahmegerät aus und schob es wieder in die Manteltasche. Dass der Deutsche nicht wusste, was auf der Kassette war und wo sie sich befand, machte die Lage weniger prekär, aber das hieß nicht, dass man Brück nicht bei der nächsten Gelegenheit schnappen sollte. Coblentz konnte sich nicht vorstellen, halbe Sachen zu machen.
    In der Abenddämmerung schäumte das Meer mit weißer Gischt, und die Möwen setzten ihr unruhiges Kreischen fort.
    Auf dem freudlos grauen Flughafen Belgrad klackten rund um Sara die Absätze der Passagiere auf dem Fußboden. Sie befand sich auf dem Weg vom Ankunftsgate zur Passkontrolle und schaltete dabei ihr Handy ein, in der Hoffnung, eine SMS erhalten zu haben.
    Als sie Christians Bild im Fernsehen gesehen hatte, wäre sie am liebsten in Cannes zur Polizei gerannt, um zu sagen, wie sehr die Behörden ihre Zeit verschwendeten, indem sie nach Christian suchten. Aber warum, um Himmels willen, floh er vor der Polizei?
    Auf dem Handydisplay erschien der Name des örtlichen Anbieters: Mobtel. Die gesenkten Blicke und ausdruckslosen Gesichter ihrer Mitreisenden ließen Sara die Narben der jahrzehntelangen Diktatur und des anschließenden Bürgerkriegs erahnen. Die Atmosphäre steigerte ihre Nervosität. Es waren Serben, von den westlichen Medien dämonisiert, Völkermörder, befleckt mit dem bei ethnischen

Weitere Kostenlose Bücher