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Remes, Ilkka - 2 - Hochzeitsflug

Remes, Ilkka - 2 - Hochzeitsflug

Titel: Remes, Ilkka - 2 - Hochzeitsflug Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ilkka Remes
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abgestoßen und war wieder an die Oberfläche gekommen, wo er sich die Lungen mit Luft voll sog, bis ihn ein heftiger Krampf wieder zu den kupferbraunen Steinen hinunterzog. Hilflos hatte er in der Tiefe gelegen und die Luftblasen in einem Strudel aufsteigen sehen. Dann hatten ihn sehnige Hände an den Schultern gepackt und auf einen Felsen gezogen. Wie ein Kind hatte Sara ihn gerettet, dabei nur gelacht und ihm scherzhaft eine Mund-zu-Mund-Beatmung verabreicht. Jetzt würde ihm keiner helfen. Der Mann mit dem Helm fixierte ungeduldig den Monitor der Wärmekamera. Der größte Teil der Fehlbeobachtungen wurde durch Tiere verursacht. Auf dem Bildschirm war kein heller Punkt mehr zu erkennen.
    »Fliegen wir weiter«, sagte er ins Mikrofon. Wieder neigte sich der Helikopter jäh und setzte seinen Flug fort.
    Als sich der Hubschrauber entfernte, tauchte Christian auf und schnappte keuchend nach Luft. Nachdem sich sein Atem etwas beruhigt hatte, schwamm er ans Ufer. Er kletterte vorsichtig hinauf, zog sich über die glitschigen Steine bis an die Felswand heran und eilte auf dem schmalen Streifen zwischen Steilwand und Meer in die Richtung, in der er die nächste Ansiedlung vermutete. Er war zu dem Schluss gekommen, dass die Kassette im Schließfach Nummer 80 am Busbahnhof von Kotor sein musste, und er wollte herausfinden, ob seine Annahme stimmte.
    Immer wieder blieb er stehen, um sich umzublicken und zu lauschen. Der Helikopter kreiste hartnäckig um den Festungsberg. Der Schmerz im Oberarm war zu einem stumpfen Brennen geworden.
    Die Steilwand nahm kein Ende. Stellenweise verschmälerte sich der Streifen zu einem Pfad von einem Meter Breite, der von Wellen überspült und dadurch glitschig wurde. Immer schwerer belastete Christian der Mangel an Nahrung und Flüssigkeit, aber der Gedanke an die Tragödie, die sich in der Festung verbarg, verlieh ihm die Kraft, weiterzugehen. Dabei hielt er nach einem Bach Ausschau, der womöglich dem Steilhang entsprang.
    Der zeitweise auffrischende Wind brachte seine nassen Kleider zum Flattern und ließ ihn frösteln. Er beschleunigte die Schritte. Seine Gedanken flohen in die Vergangenheit, in den Odenwald, in einen Unterstand, wo er beim Trommeln des Regens in den Armen seines Vaters lag.
    Christians Beine drohten ihm den Dienst zu versagen, er befürchtete, auszurutschen und in die Wellen oder auf die scharfen Ufersteine zu stürzen. Er versuchte jeden Fehltritt zu vermeiden und taumelte weiter, bis der Hang zusehends weniger steil und der Uferstreifen breiter wurde. Der Farn wurde dichter, die Laubbäume nahmen zu. Christian war schweißgebadet. Die nassen Kleider wogen schwer und scheuerten. Die Bissspur am Arm tat weh, aber das war seine geringste Sorge.
    Er ging weiter an der Uferlinie entlang, denn das war die einzige sichere Methode, sich nicht zu verirren. Immer dichter wurde die Vegetation auf dem Streifen zwischen Bergen und Meer, und Christian kam bald im Schutz hoher Bäume voran. Zwischenzeitlich bewegte er sich durch dichten Wald fort, in dem es nahezu dunkel war.
    Er blieb stehen und lauschte auf den Helikopter, aber statt eines Motorgeräuschs drang das Plätschern eines Baches an sein Ohr. Wie hypnotisiert lenkte er seine Schritte in die entsprechende Richtung und fand schließlich einen Gebirgsbach. Zwischen Farnsträuchern ging er auf die Knie und löschte seinen unermesslichen Durst.
    Das Wasser gab ihm Kraft, und als er aufstand, spürte er neue Zuversicht. Er drehte sich um - und merkte, dass er in den Lauf einer Maschinenpistole blickte.
45
    Der Mann mit dem schwarzen Schnurrbart schwenkte seine Maschinenpistole, und Christian hob die Hände. Wie hatten sie ihn so schnell finden können? Der etwa dreißigjährige Mann hatte schwarzes Haar, ein blasses Gesicht und eine stolze Adlernase.
    »Wer bist du?«, fragte er in gutem, wenn auch nicht akzentfreiem Deutsch. Christian überlegte eine Sekunde. Der Mann stammte von hier, war auf keinen Fall Amerikaner.
    »Ich bin Deutscher. Mein Name ist Christian Brück.«
    Der dunkle Blick über den hohen Wangenknochen des Mannes wurde schärfer. Er trat näher. »Wie bist du hierhergekommen? Warum bist du nass?«
    »Ich musste schwimmen. Ich bin aus der Festung, die einige Kilometer weiter da drüben liegt, geflohen.« Christian wies in die Richtung, aus der er gekommen war. »Warum warst du in Bukovica?«, fragte der Mann und kniff die Augen zusammen. Seine Zähne waren nur noch braune Stummel. »Bist du ein

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