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Remes, Ilkka - 2 - Hochzeitsflug

Remes, Ilkka - 2 - Hochzeitsflug

Titel: Remes, Ilkka - 2 - Hochzeitsflug Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ilkka Remes
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Moment. Seine Arme und Beine zitterten unwillkürlich. Aus den Tiefen seines Unterbewusstseins stieg Tinas breites Lächeln hervor, so wie es vor einigen Monaten gewesen war, mit weißen Zähnen und runden Wangen. Das Lächeln schloss auch die Augen ein, in deren Funkeln Christian besonders verliebt war. Immer heftiger flammten die Erinnerungsbilder auf den Bahnen seines zentralen Nervensystems auf und erloschen wieder. Aber er war bereit, zuzugeben, dass seine Werte und seine Moral nicht in den Synapsen nisteten, und dass sein Ich niemals durch Messung der elektrischen Signale der Gehirnzellen erfasst werden konnte.
    Plötzlich spürte Christian, wie sich Erde unter ihm löste. Er geriet ins Rutschen, obwohl er die Hände in den Boden krallte und zu bremsen versuchte. Er blickte kurz nach unten und versuchte zu erkennen, ob gleich etwas käme, an dem er sich festhalten könnte. Seine Panik wuchs, je mehr er ins Rutschen kam. Schnell drehte er sich auf den Rücken, breitete die Arme aus und presste die Fersen auf den Boden, aber sie pflügten nur so durchs Geröll. Der Felsvorsprung näherte sich unausweichlich. Christian streckte sich nach Sträuchern, die immer schneller vorüberglitten, bis er begriff, dass nichts mehr den Absturz verhindern konnte. Es waren nur noch wenige Meter bis zum Abgrund. Und ihm schoss der Gedanke in den Kopf, dass er den Hang auch dann nicht mehr hinaufkommen würde, wenn es ihm gelänge, sich irgendwo festzuhalten. In seinem Blickfeld nahm das Meer immer mehr Raum ein, zig Meter unter ihm brandete es gegen die Felsen. Statt weiter zu versuchen, das Rutschen aufzuhalten, richtete er nun seine ganze Aufmerksamkeit auf den Felsvorsprung, stieß sich in dem Moment, in dem er ihn erreichte, kräftig ab, um seine Chance zu erhöhen, im Meer zu landen statt am felsigen Ufer. Dann stürzte er in die Tiefe. Er presste die Beine zusammen, drückte die Arme fest an den Körper und sog Luft in die Lunge, bevor er auf der Wasserfläche aufschlug. Die gewaltige Wassermasse fuhr ihm mit rabiater Gewalt über den Körper, es war, als würde man ihm die Haut abziehen. Kurz verlor Christian das Bewusstsein, kam jedoch unter Wasser wieder zu sich. Er bewegte Arme und Beine und strebte zur Oberfläche. Die aber schien ständig gleich weit weg zu bleiben. Das Salzwasser brannte in der Bisswunde, aber es war ein Brennen des Lebens.
    Schließlich schaffte er es an die Oberfläche und holte tief Luft. Er blickte sich um und sah, dass er etwa zehn Meter von den Uferfelsen entfernt war, hinter denen die senkrechte Wand aufragte. Intuitiv schaute er nach oben und sah in der Ferne die graue, bedrohliche Gestalt der Festung.
    Und dann drang das Geräusch eines Hubschraubers an sein Ohr. Innerhalb weniger Sekunden wuchs das Geräusch zu großem Lärm an, und das momentane Gefühl der Erleichterung verschwand schlagartig, als Christian unsanft in die Realität zurückgeholt wurde. Er holte tief Luft und tauchte wieder in die Unterwasserstille ein. Im Cockpit des Sikorsky beobachtete ein aufmerksames Augenpaar den Monitor der Wärmekamera. Auf dem schwarzweißen Bildschirm wurde das Festland vom Meer abgelöst. Die niedrigere Temperatur der Wellenkämme war in Form von unruhigen Linien zu erkennen.
    Dann blinkte plötzlich ein heller Punkt auf dem Monitor auf. Bei dem Mann mit dem Helm schrillten die Alarmglocken.
    »In Richtung halb sechs ist etwas«, sagte er in sein Halsmikrofon. »Das sehen wir uns genauer an.«
    Der Helikopter neigte sich abrupt, und der Mann löste den Blick vom Monitor, um aus dem Fenster zu schauen. Vor der steilen Felswand wogte das Meer. Der Luftstrom der Rotoren pflügte strahlenförmige Muster in die Wasseroberfläche. Der Mann blickte wieder auf den Monitor und wartete ab. Wenn ein Mensch im Wasser war, würde er bald auftauchen, sofern er noch lebte.
    Christian schaute unter Wasser nach oben und machte mit den Händen leichte Bewegungen, um auf der Stelle zu bleiben. Er hoffte, die Wassermassen um ihn herum hätten Erbarmen mit ihm und würden ihn nicht verraten. Durch die wogende Oberfläche konnte er nicht scharf sehen, aber er spürte das Dröhnen des Hubschraubers in seinen Knochen und sah über sich den Schatten stehen. Seine Lunge brannte entsetzlich, zugleich kühlte das kalte Wasser seinen Körper aus. Er erinnerte sich daran, wie er einmal mit dem Kanu gekentert und in die schäumende Brandung gedrückt worden war. Er hatte sich an den glitschigen Steinen auf dem Grund

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