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Remes, Ilkka - 2 - Hochzeitsflug

Remes, Ilkka - 2 - Hochzeitsflug

Titel: Remes, Ilkka - 2 - Hochzeitsflug Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ilkka Remes
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bis auf den Knochen in Christians Oberarm ein und nahmen ihn in einen eisernen, lähmenden Griff. Gierige Töne entwichen dem Schlund der Bestie, und Blut färbte ihre Kinnlade rot. Der aufflammende Schmerz im Arm wurde jedoch von dem Schock durch den Blick nach draußen überlagert. Die Öffnung, die von der Metallplatte freigegeben worden war, befand sich in einer fast senkrechten Felswand, die hundert Meter weiter unten im wogenden Meer endete.
    Die losgetretene Platte flog als kleiner Punkt dem Wasser entgegen, bis sie schließlich im Ufergestein aufschlug.
    Mit dem Satellitentelefon in der Hand blickte Coblentz auf die Grundrisspläne von Bukovica, die mit Klebestreifen an der Betonwand befestigt waren. Jedes Blatt zeigte einen wirren Dschungel von Gängen, Hallen, Bunkern, Geschützen, Lagerräumen, Höhlen, Schächten, Treppen. Ein endlos verzweigtes Netz von potenziellen Verstecken. »Luc Cresson ist in Cannes entkommen«, wurde durch das Telefon mitgeteilt. »Eine verrückte Sektenangehörige hat einen von DeWolfs Männern mit dem Brotmesser umgebracht.«
    Coblentz ließ den Blick über die Pläne schweifen. »Wie viel hat Luc Cresson über Weinstaub herausgefunden?«
    »Das wissen wir nicht.«
    »Und die Finnin? Kann sie uns schaden?«
    »Kaum. Aber wir nehmen sie in Verwahrung.«
    »Genauso professionell wie Cresson?«
    Coblentz unterbrach die Verbindung, ohne den Blick von den Bukovica-Plänen zu lösen. Die auf dem Orlov krs, dem Adlerfelsen, errichtete Uferfestung war im Mittelalter eine venezianische Befestigungsanlage gewesen und hatte im Zweiten Weltkrieg ihre jetzige Form erhalten. In den 70er Jahren war sie von der jugoslawischen Armee weiter mit Beton verstärkt worden.
    Rockler trat zu Coblentz und sagte schroff: »Wir brauchen mehr Männer.« »Die Männer, die wir haben, reichen aus, wenn sie ihre Energie für das Befolgen der Befehle verwenden und nicht für Gejammer über fehlende Besatzung.« Rocklers Wangen glühten noch mehr als sonst, als er ohne ein Wort aus dem Raum stürmte.
    Coblentz ging sämtliche Wege auf den Plänen durch, auf denen man ins Freie gelangen konnte. Er überlegte sich, wie er anstelle des Deutschen vorgehen würde. Oder sollte er besser nicht an sich denken, sondern sich gedanklich auf das Niveau eines Amateurs begeben und sich fragen, wie so einer, wenn er erschöpft war und Angst hatte, sich im Labyrinth von Bukovica verhalten würde ?
    Coblentz war sich über Christian Brück nicht ganz im Klaren, darum wollte er nichts dem Zufall überlassen. Theoretisch war der Gegner ebenbürtig, jedenfalls so lange, bis das Gegenteil bewiesen war. Gleich zu Beginn hatten sie die bekannten kritischen Punkte rot markiert: Haupt-und Nebentüren, drei Dachluken, die Öffnungen der Belüftungsschächte sowie die Schießscharten. Diese Stellen wurden als Erste kontrolliert. Das Problem bestand darin, dass weder Coblentz noch seine Helfer Bukovica richtig kannten. Sie hatten sich lediglich für die Dauer der Operation dort einquartiert, weil der Ort geeignet schien, und später wollten sie sich ebenso unauffällig, wie sie gekommen waren, wieder entfernen.
    Für Coblentz war Bukovica reizvoll und unheimlich zugleich. Die abgelegene, fast vollständig zu kontrollierende Festung eignete sich bestens für eine geheime Operation - solange alles nach Plan lief. Wenn aber innerhalb des großen Gebäudekomplexes Probleme auftraten, waren mehr als eine Handvoll Männer nötig, um sie zu lösen. Von Anfang an hatte Coblentz die schwierige Aktion als Herausforderung betrachtet. Ein Aspekt an der ganzen Situation faszinierte ihn besonders: der Konflikt zwischen Motiven, Taten und dem nach außen entstehenden Eindruck. Es war, als würde man die von Nixon und Kissinger entwickelte madman theory auf Mikroebene anwenden. Laut dieser »Verrücktheitstheorie« war es für die Vereinigten Staaten strategisch günstig, wenn sie von ihren Feinden für eine irrationale, gefährliche Supermacht gehalten wurden, die zu unerwarteten Gewaltmaßnahmen greifen konnte. In dieser Hinsicht identifizierte sich Coblentz mit den Vereinigten Staaten. Er mochte ungenierte Direktheit. Darum bewunderte er auch die japanischen Kampfflieger und ihre Anführer, die im Dezember 1941 Pearl Harbor angegriffen und ohne Kriegserklärung einen großen Teil der US-Flotte zerstört hatten. Coblentz stand nämlich keineswegs auf der Seite eines Vaterlandes oder eines Volkes. Sein Vaterland wechselte; was zählte, war, das jeweils

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