Remes, Ilkka - 2 - Hochzeitsflug
Gummianzug betonte seinen Kugelbauch, aber das hinderte den Mann im mittleren Alter nicht daran, mit gierigen Blicken Saras sportliche Kurven aufzusaugen.
Sara kehrte ihm den Rücken zu und leerte ihr Airtrim-Jacket. Ein anderer Kunde hatte es sich inzwischen im Liegestuhl auf dem Vorderdeck bequem gemacht. Das Boot trieb südlich der Insel Saint-Honorat im stillen Wasser. Aus dem Radio kam das träge Französisch eines Moderators.
Auf Sainte-Marguerite, einer anderen Insel vor Cannes, befand sich das Musee de la Mer, wo Sara den Sommer über gearbeitet hatte. Das meeresarchäologische Museum war in einem uralten ehemaligen Festungsgefängnis untergebracht, dessen berühmtester Insasse der »Gefangene in der Eisenmaske« gewesen war. Sara war für vier Monate, für die Zeit einer Ausstellung über die Seemacht der Sarazenen, dort beschäftigt gewesen. Im Juli, als die Beziehung zu Christian nach dem idiotischen Fehltritt mit Xavier in einer Sackgasse geendet hatte, war Sara zu einem Bootseigentümer marschiert, der Tauchtouren organisierte, und hatte ihn nach einem Job gefragt. Es hatte sie ins Wasser gezogen, in eine andere Welt, in eine Stille weit weg von den Menschen - insbesondere von den Männern. Der Londoner Banker zerrte sich ächzend die Flossen von den Füßen. Pierre, der Bootsbesitzer, der Sara nach einigem Feilschen schließlich angeheuert hatte, schraubte in der Kabine an dem ewig Zicken machenden Echolot herum. Er war ein sehniger Unternehmer von sechzig Jahren, bodenlos geizig, der sich seit zehn Jahren seine Rente mit Tauchtouren in Cannes verdiente. Sara beugte sich nach vorne, um das aufgewickelte Seil in die Halterung zu legen, und sah aus dem Augenwinkel, wie der Blick des englischen Bankers über ihren Po wanderte.
»Das mit der Seejungfrau war als Kompliment gemeint. Sorry«, lächelte der Mann selbstgefällig. »Zur Entschädigung frage ich Sie, ob Sie heute Abend schon etwas vorhaben. Ich kenne da ein ausgezeichnetes Restaurant in der Altstadt.« »Meine Kinder sind krank. Und mein Mann ist auf Dienstreise«, log Sara mit reizendem Lächeln.
»Ach so. Das ist aber schade... Also ich meine, dass die Kinder krank sind.« Sara schraubte den Schlauch von der Druckluftflasche und schaute mit zusammengekniffenen Augen aufs offene Meer hinaus. Sie liebte das Mittelmeer über alles. Die vollkommene Harmonie von Meer und Geschichte, Natur und Mensch atmete an den seit Jahrtausenden besiedelten Küsten. Ihre Kommilitonen hatten gelacht, als sie hörten, Sara verbringe den Sommer in Cannes, in der Wiege des Glamours und der Aristokratie, wo sich abgelebte Dekadenz und energische Jugendlichkeit trafen, der internationale Jetset und Interrailer mit Rucksäcken. Aber für Sara war die Cöte d'Azur vor allem eine Wiege der Kultur, der Kunst und des Handwerks, wo ständig einzigartige Schätze gefunden wurden. Im Radio kamen die Nachrichten. Sara zog den Reißverschluss unter ihrem Kinn auf, wobei sie darauf achtete, ihn nicht zu weit zu öffnen, um ihren Kunden nicht zu provozieren. Etwas an den Nachrichten ließ sie in ihrer Bewegung innehalten. »...auf dem Weg nach Frankfurt. An Bord der Maschine sind zweiundachtzig Passagiere und fünf Besatzungsmitglieder. «
Sara trat näher ans Radio heran. Fräulein Carabella, die zukünftige Frau Brück, war heute nach Frankfurt geflogen.
Tina schwebte an der Grenze von Schmerz und unfassbarem Wohlgefühl. Auch wenn sie die Augen öffnete, sah sie nur eine glatt glänzende, graue Fläche. Der Lärm, der in den Ohren pulsierte, war sonderbar und beängstigend, aber zugleich herrlich berauschend, und ein seliger Frieden durchströmte immer stärker ihre Adern. Sie versuchte, Arme und Beine zu bewegen, aber es gelang ihr nicht. War sie gelähmt? Nein, sie konnte Zehen und Finger bewegen. Aber es war zu eng, um die Position von Armen und Beinen zu ändern.
Der Schmerz wich, und klare Glückseligkeit erfüllte sie. Sie hatte das Gefühl, sich aus ihrem Körper zu lösen und in die Höhe zu steigen, immer weiter in die Höhe... Bis sie Julias Stimme hörte ... Nur ich bin schuld . . . vergiss das nie . . . vergiss das nie . . .
Julia ... würde sie Julia bald begegnen?
Der stellvertretende Geschäftsführer von Regus Air beendete sein Statement, in dem er die Ereignisse des Tages zusammengefasst hatte. Neue Erkenntnisse über das Schicksal des Flugzeugs gab es nicht.
»Wir arbeiten mit allen zuständigen Behörden zusammen, um an Informationen zu gelangen, und
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