Remes, Ilkka - 2 - Hochzeitsflug
Rebecca.
»Jedenfalls dann, wenn Sie mit mir kommen.«
Sie gingen zu Fuß am Ufer entlang. Die Kassette brannte heiß in der Umhängetasche, aber Christian versuchte sich zu beherrschen. Am nächsten Morgen bei der Pressekonferenz würden Vertreter der Behörden und Ermittler des Unglücks anwesend sein. »Was sind Sie von Beruf?«, wollte die Reporterin von Christian wissen. »Ich bin Gehirnforscher«, antwortete er zögernd. Er fragte sich, ob das schon der Anfang eines Interviews war oder bloß unschuldiges Interesse, sagte sich dann aber, dass er nicht paranoid werden durfte. »Ich untersuche die Mechanismen des Wohlbefindens und der Abhängigkeit beim Menschen«, fügte er darum hinzu.
Die Journalistin begriff sofort, wie der Hase lief. Übertrieben wollüstig nahm sie einen Zug aus ihrer Zigarette und behandelte sie dabei betont zärtlich. »Das hier also?« Christian nickte. »Allerdings mit etwas stärkeren Stoffen.«
»Ich habe mal einen Neurobiologen getroffen«, sagte die Journalistin und stieß Rauch aus. »Der sagte, die Psyche und die Persönlichkeit des Menschen könne man in seinem Großhirn lokalisieren. Sind Sie der gleichen Meinung?«
Christian seufzte innerlich. Wissenschaftliche Argumentation und die Befriedigung des Geltungsbedürfnisses eines anderen Menschen interessierten ihn jetzt kein bisschen, aber es konnte sinnvoll sein, die Journalistin bei Laune zu halten.
»Eines der größten Probleme für uns Gehirnforscher besteht darin, die psychologische Information über die Sinneswahrnehmung des Menschen mit der neurologischen Information in Verbindung zu bringen. Und das ist keine messtechnische Frage, sondern eine abstrakte.«
»Ihr Gehirnforscher glaubt nicht an die Fähigkeit des Menschen, sein Leben selbst in die Hand zu nehmen und eigene Entscheidungen zu treffen. Ihr versucht das menschliche Handeln aus den chemischen und physikalischen Prozessen des Gehirns zu erklären. Und trotzdem geht ihr im wirklichen Leben davon aus, freie Individuen zu sein, die fähig sind, Entscheidungen zu treffen.«
Christian unterdrückte seinen Groll und überlegte einen Moment, wie er auf die Provokationen der Journalistin reagieren sollte. »Sie konstruieren einen unnötigen Widerspruch zwischen biochemischen Prozessen und dem zweckorientierten Handeln des Menschen. Auch ein Neurologe kann den Willen des Menschen als Mysterium, als Paradoxon begreifen.«
Christian hoffte, die Frau würde es dabei belassen, aber sie hakte hartnäckig nach. »Ihr glaubt, im Leben eines Menschen geschieht nichts infolge seiner Entscheidungen, egal ob es sich um Gewalt, Drogen, Sex, Kriminalität oder Glücksspiel handelt. Das gesamte naturwissenschaftliche Weltbild beruht darauf, dass der Mensch ein von außen erklärbares, willenloses Wesen ist.«
Christian seufzte gequält. »Vielen Menschen fällt es schwer zu glauben, dass wir Eigenschaften von Menschen verändern können, indem wir die jetzigen Kenntnisse über das Gehirn mit den Möglichkeiten der Molekularbiologie kombinieren, um auf die Gehirnfunktion durch gezielte Medikation Einfluss zu nehmen. Aber ich werde hier keine Grundsatzdiskussion vom Zaun brechen.«
Die Frau triumphierte sichtlich, als sie erneut an der Zigarette zog. Ihr Verhalten ärgerte Christian zusehends. Sie hatte eine spitze Zunge und ein rätselhaftes Lächeln, das zwischen unbeabsichtigtem und absichtlichem Spott zu oszillieren schien. Was mochte sich dahinter verbergen?
»Und Sie, was machen Sie beruflich?«, wandte sich die Reporterin an Rebecca. »Ich bin Hausfrau.«
Christian registrierte Rebeccas lakonische Antwort, die keine Nachfragen provozierte, und schämte sich für seine eigene Geschwätzigkeit. Sylvia warf die Zigarette in den Sand und trat sie aus. Sie erreichten einen beleuchteten Straßenabschnitt, der als Strandboulevard fungierte. Die geschlossenen Cafés sorgten für eine Atmosphäre der Verlassenheit und Melancholie.
»Ein seltsamer Ort«, nahm die Reporterin das Gespräch hartnäckig wieder auf, obwohl ihre Begleiter keinen Gesprächseifer an den Tag legten. »Ein Touristenort ohne Touristen. Ich war Ende der 8oer jähre hier, damals war die Küste von Montenegro einer der wichtigsten Kassenmagneten Jugoslawiens. Kennen Sie die Hotelinsel Sveti Stefan etwas weiter südlich? Wunderbar. Tito hat dort seiner zeit ein Luxushotel für Parteibonzen errichten lassen. Das Niveau kann man sich ausmalen, wenn man sich vor Augen führt, dass Robert Redford, Joan Collins,
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