Remes, Ilkka - 2 - Hochzeitsflug
versuchte seine Gefühle unter Kontrolle zu halten und schaute sich aufmerksam unter den Kameraleuten nach deren Geräten um, auch wenn er wusste, dass es keine Amateurausrüstung im Saal gab. Er blickte nach vorne, doch standen keine Offiziellen in der Nähe des Rednerpults. Er scheute sich vor dem Gedanken, die Kassette de facto konfiszieren zu lassen, ohne weiteren Einfluss auf ihren Gebrauch nehmen zu können. »Der reinste Rummelplatz«, sagte Rebecca. Die Kameraleute brachten ihre Ausrüstung in Bereitschaft und bauten die Mikrofone auf, die Reporter überprüften ihre Telefonverbindungen. Wegen der umliegenden Berge gab es kein Mobilfunknetz, darum waren Satellitentelefone in der Größe von Bierdosen im Gebrauch, die etwas größere Antennen hatten. Es waren nicht genügend Stühle für alle vorhanden, aber Christian und Rebecca gelang es, Plätze zu finden.
»Was hältst du von ihr?«, fragte Rebecca mit einer Kopfbewegung zu Sylvia, die sich mit ihrem Kameramann unterhielt.
»Sie ist schrecklich.«
»Immerhin versucht sie nicht, tränenreiche Statements von uns zu bekommen, wie es die meisten anderen tun würden.«
»Sie hat anscheinend eine bessere Taktik.«
Zwei Techniker in PROy-Anoraks bauten große Stative mit Kameraleuchten auf. Im Mittelpunkt von allem stand das Rednerpult voller Mikrofone. Vorne hatte es einer der Stadtväter offenbar auf die Schnelle mit der Aufschrift »PJEVAC« versehen. Neben dem Pult leuchtete ein weißes Flipchart, dahinter waren Plakate eines Reisebüros zu erkennen.
»Die Stadt versucht anscheinend, mit Hilfe der Tragödie Touristen anzulocken«, sagte Rebecca.
»Aber ob die Touristen nächsten Sommer noch wissen, was hier passiert ist?« Christian konnte seine Anspannung nicht verbergen. Er sah immer wieder auf die Uhr, so wie es auch viele der Journalisten taten. Das Warten auf Neuigkeiten sorgte für eine angespannte Atmosphäre in dem stickigen Saal.
Schließlich trat ein Jugoslawe mit lockigen Haaren und schäbigem Anzug ans Pult, gefolgt von einem besser angezogenen Mann und zwei Offizieren in Uniform. »Meine sehr verehrten Damen und Herren, herzlich willkommen zu unserer Pressekonferenz«, sagte der Jugoslawe in gebrochenem Englisch. »Ich bin Milos Orlovic, der Leiter des für die Ermittlungen zuständigen Komitees der jugoslawischen Luftfahrtbehörde. Außerdem anwesend sind Helmut Mayer, der Direktor der Regus Air, Oberstleutnant Dubocke von der montenegrinischen Küstenwache und Oberst Carrington von der US-Luftwaffe. Als Erstes übergebe ich das Wort an ...«
»Mr Orlovic, trifft es zu, dass die Maschine schon leer war, als sie ins Meer stürzte?«, fragte ein Journalist.
Die Frage sorgte für einen metallischen Geschmack in Christians Mund. Er spürte, wie Rebecca neben ihm erstarrte.
»Es ist nicht meine Absicht, auf Fragen zu antworten ...«
Ohne sich um Orlovics Worte zu kümmern, meldeten sich weitere Journalisten und stellten Fragen.
»Können Sie bestätigen, dass Jagdflugzeuge der Nato der Unglücksmaschine gefolgt sind?«
»Ich bitte um Ruhe«, rief Orlovic, während einer der Männer in Uniform zum Pult ging, begleitet von allgemeinem Lärm und Durcheinander. Christian und Rebecca sahen einander irritiert an. Plötzlich hatte die Kassette einen ganz neuen Wert erhalten. »Ich übergebe das Wort an Oberst Carrington von der Luftwaffe der Vereinigten Staaten.«
Ein Stimmengewirr der Überraschung erhob sich im Saal. Christian ballte die Fäuste und machte sich auf unangenehme Neuigkeiten gefasst. Der Anblick des Militärvertreters beunruhigte ihn. Der Oberst trug eine Brille mit Metallbügeln, sein Haar war weiß und fast stoppelkurz geschnitten. Sein Auftreten sorgte zunächst einmal für Disziplin unter den Journalisten, er musste nicht einmal um Ruhe bitten.
»Guten Morgen. Als Erstes möchte ich sagen, dass wir es hier mit einem außergewöhnlichen Ereignis zu tun haben. Mit einem sehr außergewöhnlichen. Es gibt zwei große Fragen. Erstens: Warum hat die Maschine so heftige Bewegungen vollführt, warum ist sie von ihrem Kurs ab gekommen und schließlich abgestürzt? Und zweitens: Warum sind am Unglücksort noch immer keine Toten gefunden worden?«
Es wurde absolut still im Saal. Auf dem gebräunten Gesicht des Oberst sah man die militärische Selbstsicherheit bröckeln. Bei jedem anderen hätte das Durchscheinen von Emotionen menschlich gewirkt, aber auf dem Gesicht des strengen Oberst sah es beängstigend aus.
»Ich bin sicher,
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