Remes, Ilkka - 2 - Hochzeitsflug
Norditalien und dem Alpenraum zum Vorschein. Im Saal wurde es vollkommen still. Christian registrierte jede Bewegung des Militärvertreters. Zum ersten Mal schien jemand konkrete Informationen und langersehnte Einzelheiten parat zu haben.
»Flug 213 erreichte planmäßig den Schweizer Luftraum um 11.20 Uhr. Der Raum gehört zu den am meisten frequentierten Luftwegknotenpunkten Europas. Die Flugaufsicht liegt bei der Swisscontrol. Aus unbekannten Gründen verlor und gewann das Flugzeug scheinbar unkontrolliert an Höhe. Es stieg abrupt auf, stürzte nach wenigen Minuten stabilen Fluges im Winkel von fast vierzig Grad für zwanzig Sekunden nach unten und erreichte dabei eine geschätzte Geschwindigkeit von Mach 0,86 - also fast Schallgeschwindigkeit.«
Christian spürte, wie sein Arm gedrückt wurde. Unter den Worten des Oberst war Rebecca noch blasser geworden.
»Die Situation an Bord war chaotisch. Die Passagiere haben Schwerelosigkeit empfunden, und die Überschreitung der Maximalgeschwindigkeit hat den heulenden Hauptalarm im Cockpit ausgelöst. Der Sturz wurde auf 17000 Fuß abgefangen, und die Maschine begann erneut zu steigen. An dem Punkt wurden die Passagiere von der Schwerelosigkeit ins andere Extrem geschleudert, das heißt mit zweieinhalbfacher Schwerkraft in die Sitze gedrückt.«
Christian merkte, wie er sich vor dem Moment fürchtete, in dem er sehen würde, was auf der Kassette war. Dem Gedanken, die Kassette dem Oberst zu übergeben, stand er widersprüchlich gegenüber. Zweifellos bekäme man den Inhalt des Bandes dann bald zu Gesicht, aber etwas an dem abweisenden Verhalten des Offiziers ließ Christian zögern. Es wäre keineswegs ausgeschlossen, dass der Oberst die Kassette konfiszierte und Christians Bitte, sie ansehen zu dürfen, einfach ignorierte. Die Behörden waren nicht verpflichtet, seine privaten Wünsche zu berücksichtigen.
»Hier drinnen geht langsam der Sauerstoff aus«, flüsterte Rebecca, die sich offenkundig äußerst unwohl fühlte. So blass, wie sie war, sah die kleine Frau aus wie ein zerbrechliches Kind.
Christian stand auf, um ein Fenster zu öffnen; er spürte die Blicke in seinem Rücken. »Entschuldigung«, sagte er ein ums andere Mal zu den Journalisten, die alle die Knie einziehen mussten, um ihn durchzulassen.
»Schließlich verschwand 213 im Gebiet Sondrio-Tirano-St. Moritz vom Radar der regionalen Flugaufsicht Lugano-Agno. Das Verschwinden fand ungefähr an der unteren Grenze des Radarfeldes statt, weshalb in dem Gebiet mit der Suche begonnen wurde. Als Ursache für den Abbruch der Sekundärradarerfassung wurden zwei Möglichkeiten in Betracht gezogen: Entweder die Maschine wurde in der Luft zerstört, oder der Transponder, der in der Maschine das Radarsignal beantwortet, fiel aus. Oder wurde absichtlich ausgeschaltet.«
Christian blieb am Fenster stehen und blickte auf den Oberst, dessen Worte immer unheilvoller klangen. Er öffnete das Fenster und noch zwei weitere. Der herein flutende kühle Seewind brachte die Notizblätter der in der Nähe sitzenden Journalisten zum Flattern.
»Es hat sich schließlich bestätigt, dass der Transponder ausfiel, denn etwas später wurde 213 über den Dolomiten registriert, als die Maschine im Bereich des Radarsystems der militärischen Flugkontrolle erschien.«
Das war eine neue Information, die bei den Journalisten Getuschel auslöste, während Christian an seinen Platz zurückkehrte. Der Oberst bemerkte die Reaktion der Journalisten und fuhr fort, wobei er mit dem Teleskopkartenstock in seiner Hand spielte: »Die normale zivile Luftüberwachung basiert auf dem Sekundärradar, das nur dann funktioniert, wenn der Transponder in der Maschine das Radarsignal beantwortet. Bei der militärischen Flugüberwachung wird zusätzlich das so genannte Primärradar eingesetzt, weshalb man die Flugbahn der jeweiligen Maschine verfolgen kann, indem man die Informationen aus unterschiedlichen Radarquellen kombiniert, auch dann, wenn der Transponder nicht eingeschaltet ist. Wir haben erst jetzt die Daten der militärischen Radaraufzeichnungen sammeln und auswerten können.« Der Oberst zeichnete mit Filzstift eine Linie auf die Karte, wobei das Raunen im Saal abflaute. »213 vollzog also einen unerklärlichen Kurswechsel nach Süden. Wiederholt wurde versucht, Kontakt zur Cockpitbesatzung aufzunehmen, aber ohne Erfolg. Einzelne Beobachtungen konnten von der Maschine noch gemacht werden, als sie wesentlich unterhalb der normalen Flughöhe
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