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Remes, Ilkka - 2 - Hochzeitsflug

Remes, Ilkka - 2 - Hochzeitsflug

Titel: Remes, Ilkka - 2 - Hochzeitsflug Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ilkka Remes
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sich.
    Christian stieß vorsichtig die Tür auf. Muffiger Rauchgeruch schwappte ihm entgegen. Im Fernsehen lief eine psychedelische Jeansreklame. Niemand war im Zimmer. Christian sah sich im flimmernden Licht der hektisch geschnittenen Fernsehbilder um. Er schloss die Augen und schaute erneut hin. Der Anblick war derselbe. Der junge Mann lag vor dem Fenster, mit einem Einschussloch in der Stirn, das goldene Feuerzeug in seiner verkrampften Faust brannte noch immer. Die erloschene Zigarette schwamm in der Blutpfütze auf dem Teppich. An der Wand, auf der Höhe von Dukanovics Kopf, und auf den bis zum Boden reichenden Vorhängen waren rote Spritzer zu sehen.
    Christian starrte auf den Jungen und traute seinen Augen nicht. Das flackernde Flämmchen, das aus der Faust des Toten aufstieg, wirkte unnatürlich. Dann gewann der Arzt in Christian die Oberhand, und er beugte sich über den Toten. Er wollte die Feuerzeugflamme löschen, aber dann hielt er inne. Er durfte keine Fingerabdrücke auf dem Feuerzeug hinterlassen, aber die Flamme musste gelöscht werden. Er suchte in seinen Taschen nach einem Taschentuch, das er mit Spucke befeuchten konnte.
    Im selben Augenblick wurde ihm bewusst, dass der Mörder noch immer in der Wohnung sein konnte. Christians Sehfeld trübte sich, in den Schläfen pochte es schwindelerregend. Er machte ein paar Schritte zurück und war sich auf einmal sicher, jemanden im Rücken zu haben. Er rechnete mit einem Schuss oder damit, dass sich von hinten eine Hand auf seine Schulter legte. Dennoch konnte er dem Toten auf dem Fußboden nicht den Rücken zukehren. Ein starker Windstoß aus dem Flur brachte den dünnen Vorhang in Bewegung, er kam in Berührung mit der Feuerzeugflamme, die sogleich vom Sauerstoff Nahrung bekam, schlagartig größer wurde und den Vorhang erfasste.
    Christian riss den Stoff herunter und trampelte die Flammen aus. Beißender Qualm drang ihm in die Nase, Panik wollte seinen Atem lähmen. Er stürzte in den Flur und rannte so schnell er konnte auf die Straße. Dort war kein Mensch, aber er hatte Angst, jemandem zu begegnen - dem Mörder, einem Polizisten, einem Zigeunerkind, wem auch immer. Er musste weg, er musste verschwinden. Sofort.
    Mit zitternden Fingern griff er nach der Innentasche seiner Jacke. Die Kassette war noch da.
19
    Ein Stück weit rannte Christian wie wild, aber dann blieb er abrupt wie vor einer Wand stehen.
    Er floh vom Tatort. Das war nicht vernünftig.
    Er zwang sich, normal zu gehen, dabei ballte er die Fäuste, öffnete sie, ballte sie wieder. Er hätte am Tatort bleiben und die Polizei benachrichtigen müssen. Aber wie hätte er den Grund seines Besuchs erklären sollen? Er wäre gezwungen gewesen, von der Kassette zu erzählen - und sie der hiesigen Polizei zu übergeben.
    Das aber wollte er nicht.
    Vorsichtig blickte er über die Schulter zurück. Am anderen Ende der Straße war kurz ein verbeultes Auto zu sehen, aber ansonsten war es still. Müssten die Leute um diese Zeit nicht zur Arbeit gehen? Es kam ihm vor, als würde ihm vom Tatort her leichter Rauchgeruch in die Nase wehen. War der Vorhang womöglich gar nicht richtig erloschen? Christian war hin und her gerissen: Zurück zum Haus oder möglichst weit weg davon, wohin auch immer?
    Tief in seinem Innern nagte eine beängstigende Frage. Wer hatte den jungen Mann umgebracht? Und warum? Was waren die Hintergründe? Die Wunden der Revolution? Montenegros Kampf um die Unabhängigkeit? Die hiesige Schmugglermafia? Gab es vielleicht einen persönlichen Grund? Oder konnte der Mord etwas damit zu tun haben, dass der Mann am Absturzort gewesen war und die Tasche mit der Kamera gefunden hatte?
    Christian überlief ein kalter Schauer. Um das Schicksal des Flugzeugs rankten sich so viele finstere Fragen, dass sich manch einer für die Kamera interessieren musste, sobald er von ihrer Existenz erfuhr. Die Kassette in Christians Tasche glühte förmlich vor Brisanz.
    Der Wind vom Meer blies zwischen den Häusern hindurch, ergriff Christians Haare und wehte den leichten Rauchgeruch zum Tatort zurück. Es war keine Einbildung gewesen. Das Feuer war tatsächlich nicht erloschen.
    Da schoss Christian ein lähmender Gedanke in den Kopf. Sein Pass war bei dem jungen Mann! In einem Haus, das in diesem Moment womöglich in Flammen aufging. Wer immer in der Wohnung einen halb verbrannten Pass finden würde, er wäre auf jeden Fall in den falschen Händen.
    Christian drehte sich um und nahm die in ihm aufsteigende

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