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Remes, Ilkka - 2 - Hochzeitsflug

Remes, Ilkka - 2 - Hochzeitsflug

Titel: Remes, Ilkka - 2 - Hochzeitsflug Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ilkka Remes
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Panik mit Gewalt an die Kandare. Eine Gehirnhälfte befahl ihm, unverzüglich die Polizei zu rufen und ihr die Kassette zu übergeben, die andere Hälfte ermunterte ihn, in aller Stille seinen Pass zu holen, die Spuren zu verwischen und die Kassette zu behalten. Oder konnte es sein, dass der Mörder den Pass schon gefunden und mitgenommen hatte?
    Wie ein willenloser Roboter ging Christian auf das Haus zu. Falls der Killer bei seinem Besuch vorhin noch dort gewesen sein sollte, wäre er jetzt wegen der Flammen mit Sicherheit verschwunden.
    Christian hatte mit dicken Rauchschwaden aus den offenen Fenstern des Hauses gerechnet, aber da war nichts. Noch einmal versuchte er die Alternativen abzuwägen, doch unter diesen Umständen und in dieser Situation durfte er nicht zulassen, dass sein Pass in fremde Hände geriet. Es war verrückt, zum Tatort zurückzukehren, aber letztlich war es egal, ob er den Verlauf der Ereignisse erklären musste, wenn die Polizei den Tatort umstellte, oder später in seinem Hotel, wenn die Polizei dort mit seinem verkohlten Pass vorstellig würde.
    Bis zur Haustür war es nicht mehr weit. Sie stand noch immer einen Spaltbreit offen, so wie er sie bei seiner hysterischen Flucht zurückgelassen hatte. Durch den Türspalt schwebte eine dünne Rauchsäule auf die totenstille Straße. Noch hatte niemand etwas bemerkt, noch bestand die Möglichkeit... Oder war der Mörder im Haus ? Christian blieb stehen. Rinnsale von Schweiß kreuzten sich auf seiner Stirn und liefen ihm bis auf die geröteten Wangen hinab. Mit der Schuhspitze stieß er die Tür auf und hörte das Rauschen seines Blutes in den Ohren. Drinnen war die Luft grau vor Rauch. Er wischte sich mit dem Handrücken über das Gesicht und hielt sich den Ärmel als Rauchschutz vor den Mund. Unter dem verkohlten Vorhang brannte der Juteteppich in kleinen Flammen. Das Feuer musste gelöscht werden, bevor es die ganze Stadt in Aufruhr versetzte.
    Christian war selbst überrascht über seine plötzliche Tatkraft und seinen Mut. Er riss den groben Schonbezug vom Sofa und warf ihn auf den Teppich. Der Rauch quoll bis zur Decke hinauf. Christian befürchtete, die provisorische Löschdecke würde Feuer fangen, und trampelte mit den Füßen darauf herum.
    Den ermordeten jungen Mann zu sehen war jetzt nicht mehr so schlimm. Aber wo war der Pass?
    Fünfzig Meter von der Wohnung des jungen Mannes entfernt bog eine rundliche alte Frau in die Lovcenskastraße ein. Sie trug einen Mantel und abgetretene Halbschuhe, ihre Wangen waren rot, und ihr Mund schien unentwegt lachen zu wollen. In der Hand hielt sie eine braune Einkaufstasche, aus der eine Milchpackung, eine zusammengerollte Zeitung und ein rundes, in graues Papier eingeschlagenes Brot herausragten. Ohne Eile ging sie auf die Wohnung des jungen Mannes zu, blieb zwischendurch stehen, um zu verschnaufen, und setzte dann ihren Weg fort.
    Christian nahm schnell ein Papiertaschentuch zur Hand und ging neben dem von Ruß und Blut verschmierten Toten in die Hocke. Ständig blickte er sich zur halb geöffneten Tür um. Mit dem Taschentuch schützte er seine Finger, als er die Jacke des Toten etwas anhob, um die Innentasche betasten zu können.
    Die Tasche war leer, die Brusttasche des Hemdes ebenfalls. Er stand auf, ohne selbst recht zu glauben, so kaltblütig handeln zu können. Hatte der Mörder den Pass mitgenommen? Er trat an die Kommode und öffnete die oberste Schublade. Sie knarrte laut. Christian erschrak und sah sich hastig um.
    Die Frau im schwarzen Mantel war zehn Meter von der Tür zum Haus des jungen Mannes entfernt, als die Nachbartür aufging und eine rotgesichtige Frau gleichen Alters mit einer Tischdecke in der Hand herauskam.
    »Dobro jutro!«, begrüßten sich die beiden.
    »Du wirst doch nicht etwa Veljko aufwecken wollen«, sagte die Nachbarin und schüttelte die Brotkrümel aus der Tischdecke auf den Bürgersteig. »Der arme Junge schläft noch.«
    »Es ist Zeit, aufzustehen«, sagte die Frau im schwarzen Mantel und lachte so laut, dass ihr einziger Zahn aufblitzte. »Ich bringe ihm frisches Brot. Veljko hat immer frisches Brot gemocht.«
    Ein heiseres Lachen auf der Straße ließ Christian auf der Stelle erstarren. Rasch zog er die unterste Kommodenschublade auf, wühlte in der Bettwäsche und stellte fest, dass sein Pass auch dort nicht versteckt war. Er wollte gerade zur Tür eilen, da fiel sein Blick auf einen Stoß Bücher auf der Fensterbank. Unter dem obersten war eine Farbe zu

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