Remes; Ilkka - 5 - Höllensturz
das Fernglas zur Hand. Tuijas und Rafiqs Auto stand nur hundert Meter entfernt. Er würde bald Tuija anrufen und sich versichern, dass alles in Ordnung war. Das Auftauchen der Polizistin hatte Hamid erschreckt. Zuerst hatte er sie auf der Stelle erschießen wollen, aber dann hatte er sich Tuijas Bitte gefügt, die Frau nicht vor Rafiqs Augen zum Schweigen zu bringen.
Auf der Straße näherte sich ein Lkw. Hamid blieb regungslos liegen. Der Laster donnerte in zehn Metern Entfernung an ihm vorbei.
Auf dem Flughafen Oulu verließ Karri über die Gangway das Flugzeug. Er war erleichtert, als seine Schuhe den Asphalt berührten.
Im zunehmenden Schneegestöber leuchteten die Scheinwerfer auf dem Rollfeld metallisch grell. Der Wind blies direkt aus dem Norden, und Karri zog den Kragen so weit nach oben, wie es nur ging. Keine hundert Meter weiter stand eine zweite Maschine, die bunt bemalte Boeing einer Charterfluggesellschaft. Etwas abseits parkte ein weißer Learjet, dessen Düsen mit Kunststoffhüllen abgedeckt waren. Karri zuckte zusammen, obwohl der Flieger nicht derselbe war, den Kaplan benutzt hatte. In Oulu boomte die IT-Branche, der Datenverkehr lief auf Hochtouren – offenbar beschäftigte das mittlerweile auch Firmen der Flugverkehrsbranche.
Saara ging neben Karri zum Terminal, hinter dessen rauchgrauer Glasfront eine Menge kleiner Halogenspots glühten. Darunter sah man die Silhouetten der Reisenden.
Timo betrat hinter den beiden die Ankunftshalle, wo eine Gruppe gut gelaunter Touristen gerade ihr Gepäck vom Band nahm. Die braun gebrannten Männer mit ihren Familien sahen aus wie Geschäftsleute, die nur kurz Anzug und dunklen Wollmantel gegen eine bunte Daunenjacke getauscht hatten. In breitestem Amerikanisch schwangen sie begeisterte Reden.
Karri ging nun hinter Saara und Timo zum Ausgang. Saara hatte den ganzen Weg von Helsinki nach Oulu über kein Wort gesagt, und Karri hatte sie in Ruhe gelassen. Zu Hause würden sie genug Zeit zum Reden haben.
Der Wind ließ die Schnüre an den Fahnenstangen klappern. Timo stellte sich am Taxistand an. Die Schlange war lang, dabei warteten die meisten Leute aus der Helsinki-Maschine noch auf ihr Gepäck.
»Warum kann man nicht dafür sorgen, dass es an einem Flughafen von der Größe genug Taxis gibt?«, ärgerte sich Timo.
Plötzlich erkannte Karri eine bekannte Gestalt am Eingang zum Terminal.
»Tomi«, rief er.
Tomi Stenlund ging mit großen Schritten zu einem Reisebus, der vor dem Eingang geparkt war und in den gerade die Touristen von eben einstiegen. Als er Karri sah, kam er kurz herüber.
»Ich habe die Charter-Gruppe gesehen, bin aber nicht auf die Idee gekommen, dass es deine Leute sein könnten«, sagte Karri.
»Doch, doch, das sind sie.« Tomi war außer Atem. Er blickte auf Saara. »Sie haben dich laufen lassen, Gott sei Dank.«
Saara nickte ernst und müde.
»Was steht ihr in der Taxischlange?«, fragte Tomi. »Springt in den Bus. Wir fahren in ein paar Minuten direkt nach Pudasjärvi.«
Karri warf einen fragenden Blick auf Timo. Der nickte. »Wenn du Platz hast.«
»Das sind nur zwanzig Leute, der Bus hat 46 Sitzplätze. Einen kleinen Imbiss kriegt ihr auch«, sagte Tomi und ging wieder zum Bus. »Bewirtung von Anfang an«, rief er mit einer heiteren Energie, die überhaupt nicht zur bedrückten Stimmung passte.
Johanna lag in unbequemer Haltung unter der Decke auf dem Rücksitz. Ihre Gliedmaßen waren eingeschlafen, aber Tuija erlaubte nicht, dass sie sich rührte. Die Atmosphäre im Auto wurde von Minute zu Minute angespannter.
Sie warteten auf etwas. Aber worauf? Auf Hamids Rückkehr? Er hatte gerade angerufen und kurz mit Tuija gesprochen.
Johanna hatte versucht, die Teilchen des Puzzles zusammenzusetzen. Die Umzugskisten im Kofferraum, Rafiqs Unwissenheit, Hamids schwerer Rucksack. Es hatte den Anschein, als warteten Rafiq und Tuija auf Hamid und würden danach nicht nach Hause fahren, sondern anderswohin.
Tuija war an diesem Morgen eher mit Hamid als mit Rafiq auf einer Wellenlänge. Hatte sie zusammen mit Hamid die Morde und die Inszenierung hinter Rafiqs Rücken durchgeführt?
Tuijas Unberechenbarkeit und ihr Potenzial, auch brutal zu handeln, waren vor Johannas Augen größer geworden. Sie dachte an den Zeitungsausschnitt über die Tragödie in Tuijas Familie, an Kohonens Geschichte vom Erschießen des Hundes und von der Brandstiftung, an Tuija, die als Kind in der Schule gequält worden war. Nicht nur von Mitschülern,
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