Remes; Ilkka - 5 - Höllensturz
wegen Beteiligung an einem Terrorakt ins Gefängnis gebracht. Und das wäre für Tuija das Ende gewesen – in jeder Hinsicht. Schließlich war Hamid aufgegangen, dass Tuija die Opfer gekannt hatte und sich bei den Bluttaten etwas weit Zurückliegendes und viel Tieferes entladen hatte.
All das hatte Hamid in Bezug auf Tuija auf der Hut sein lassen. Die Frau fühlte sich schnell in die Ecke getrieben und konnte jederzeit etwas Unberechenbares tun. Sie wollte vor der Polizei vertuschen, was sie getan hatte, aber mindestens ebenso sehr wollte sie ihre Taten vor Rafiq geheim halten, der trotz seines großen Talents im Umgang mit der Waffe wahrscheinlich nicht einmal fähig war, einen Hasen zu töten.
Hamid setzte das Fernglas ab und folgte dem Lkw mit bloßen Augen. Er näherte sich dem schräg stehenden Kiefernstumpf, den Hamid als Markierungspunkt ausgesucht hatte. Er legte den Finger neben den Knopf des Auslösers, ohne ihn zu berühren. Er kannte seine Reaktionszeit. Er hatte den Abstand zwischen Markierungspunkt und Sprengsatz entsprechend gewählt.
Der Lkw sauste am Markierungspunkt vorbei, und Hamid machte mit dem Finger eine kleine Testbewegung.
Die Semtex-Ladung am Unterboden des Busses würde das Fahrzeug sofort in Stücke reißen, und in der Erde bliebe ein Krater zurück.
Natürlich nur, wenn alles gut ging. Das Wetter, der Schnee, der von der Straße aufgewirbelt wurde, und die Feuchtigkeit konnten eine andere Lösung erzwingen. Daran aber wollte Hamid nicht denken.
Nur das Resultat war entscheidend.
Johanna ließ sich von Tuijas Schlag nicht einschüchtern, sondern sagte unter der Wolldecke heraus zu Rafiq: »Weißt du, dass deine Frau drei Menschen umgebracht hat?«
»Sie lügen«, sagte Rafiq unsicher.
Tuija schlug Johanna erneut, diesmal noch härter als zuvor.
»Halt dein verdammtes Maul!«, schrie sie.
Aber Johanna redete weiter: »Sie hat gerade die Handschuhe verbrannt, die sie trug, als sie mit dem Gewehr auf …«
Ein neuer Schlag.
»Gib mir die Waffe!«, zischte Tuija ihrem Mann zu.
»Tuija, sag mir, dass sie lügt«, verlangte Rafiq.
Johanna setzte sich auf und warf die Wolldecke von sich. Tuija sah aus wie zuvor, sie wirkte weder verwirrt noch zögernd. Aber ein Mensch kann auch unter dem Einfluss einer Psychose systematisch und plangemäß handeln.
»Gib mir die Waffe!«, rief Tuija ungeduldig.
Rafiq zielte mit der Pistole auf Johanna. Johanna sah ihm direkt in die Augen und redete möglichst schnell: »Deine Frau hat drei ehemalige Klassenkameradinnen erschossen und Kohonen die Schuld in die Schuhe geschoben …«
Tuija griff nach Rafiqs Hand und versuchte die Waffe an sich zu nehmen.
Rafiq zog die Hand zurück. »Beweise, was du sagst«, schrie er Johanna an.
»Mach dich nicht lächerlich«, entgegnete Johanna spöttisch. Sie musste mit allen Mitteln einen Keil zwischen Rafiq und Tuija treiben, das war ihre einzige Chance. »Benutz dein Gehirn, wenigstens dieses eine Mal. War Tuija deiner Meinung nach in letzter Zeit ausgeglichen? Warum hat sie die Schutzausrüstung, die beim Mord benutzt worden ist, am Grab ihres Hundes versteckt? Wo war sie zur Tatzeit der drei Morde?«
Tuija schlug Johanna mit der flachen Hand hart ins Gesicht.
»Rühr sie nicht an!«, brüllte Rafiq und richtete die Waffe auf Tuija. Sein schmaler Brustkorb hob und senkte sich so hektisch wie bei einem erschrockenen Vogel. Er sah seine Frau auf eine Weise an, die Johannas Herz schmerzlich schneller schlagen ließ. In diesem Blick lag eine Mischung aus abgrundtiefer Erschütterung, Enttäuschung und Hass.
Tuijas Miene war ruhig. Vollkommen kühl. »Hör nicht auf diese Schlampe …«
»Rafiq«, fiel ihr Johanna energisch ins Wort, »sag mir, warum du Kontakt zu Saara Vuorio hattest.«
Tuija schnaubte höhnisch. »Jetzt reicht’s aber mit dieser Scheiße …«
»Sag mir, Rafiq, warum ein Dutzend Mal von deinem Anschluss aus Saara angerufen worden ist, und warum Saara dich angerufen hat!«
Johanna sah Tuija an, auf deren Gesicht nun zum ersten Mal Erschütterung zu erkennen war.
»Ich weiß, warum«, fuhr Johanna an Tuija gewandt fort. »Weil Rafiq und Saara hinter deinem Rücken ein Verhältnis hatten.«
Dieser Satz war ein Schuss ins Blaue gewesen, aber Tuijas schockierte, wütende Miene zeigte, dass sie damit ins Schwarze getroffen hatte.
62
»Look, Daddy« , rief ein zehnjähriges Mädchen im vorderen Teil des Busses seinem Vater zu. Eine Herde zottiger Rentiere mit prächtigen Geweihen
Weitere Kostenlose Bücher