Remes; Ilkka - 5 - Höllensturz
Raunen zufolge hatten sie endlich den Ernst der Lage begriffen.
Saara entfernte ein großes Stück losen Putz an der Stelle, wo Wand und Boden aufeinander trafen. Konnte sie Tuija anlügen und behaupten, der Zylinder sei weg? Dann würde sie drohen, die Geiseln zu töten, und Saara müsste ihr doch die Schriftrolle übergeben. »Tempo!«, rief Tuija ihr zu.
Saara entnahm mehrere Steine, bis sie auf den Transportzylinder aus Metall stieß. Erst als sie ihn sah, wurde sie von Panik erfasst. Was würde Tuija damit anstellen? Saara beruhigte sich mit dem Gedanken, dass Tuija auf keinen Fall entkommen würde.
Mit dem Zylinder in der Hand ging Saara zurück. Die Amerikaner aus dem Bus hatten auf den Bänken Platz genommen, und die Gemeindemitglieder standen nun aufgeregt um Tuija herum.
»Bring das Ding her«, sagte Tuija zu Saara. »Wir gehen.«
Saara drängte sich durch den Menschenpulk. Im flackernden Schein der Kerzen sah sie Karris aufgelöste Miene. Timo blickte ernst auf den Zylinder. Saara schob sich bis zu Tuija vor.
Die hielt in einer Hand den Auslöser des Sprengsatzes und in der anderen die Waffe. »Gib es mir«, sagte sie und hob leicht die Hand mit der Waffe. Damit bedeutete sie Saara, ihr den Zylinder unter den Arm zu schieben.
Saara blieb vor Tuija stehen und zeigte ihr den Metallbehälter. Auf Tuijas blassem Gesicht glühten rote Flecken.
Saara sah den schwarzen Schalter, den Tuija in der Hand hielt. Der Daumen ruhte auf dem Zeigefinger neben dem Auslöseknopf.
Auf einmal stieß Saara mit dem Zylinder Tuijas Waffe nach oben, griff mit der anderen Hand nach Tuijas Daumen und bog ihn so heftig um, dass der Schalter am Kabel lose aus dem Ärmel hing. Sofort warf sich Timo auf Tuija und brachte den Auslöseschalter in seiner Faust in Sicherheit. Im selben Moment löste sich ein Schuss.
»Karri, nimm ihr die Waffe ab …«, rief Timo.
Saara fiel zu Boden und schlang so fest sie konnte die Arme um Tuijas Beine. Karris Knie traf sie an der Schulter, als er Tuija die Waffe entwand.
»Lass los!«, brüllte Karri.
Tuija stöhnte und fluchte.
»Ich hab die Waffe«, keuchte Karri.
»Nehmt ihr den Rucksack ab, ich habe den Auslöser«, sagte Timo.
Saara richtete sich auf und zog Tuija den Tragegurt von der Schulter.
»Ich nehme den Rucksack.« Karri löste vorsichtig den anderen Gurt. »Halt ihn so lange fest …«
Saara hielt den Rucksack, bis Karri ihn richtig im Griff hatte.
»Gehen Sie zur Seite«, sagte eine Frauenstimme hinter den Touristen. »Timo, ich bin’s, Johanna …«
Mit gezogener Waffe drängte sich Johanna neben Saara und sagte zu Tuija: »Auf den Bauch!«
Tuija fluchte wütend und außer Atem. Johanna drückte sie mit dem Knie auf den Steinboden.
Saara stand auf. Ihre Beine und Hände zitterten. »Wo ist der Zylinder?«, fragte sie panisch, aber niemand hörte inmitten des Chaos ihre Stimme.
Saara ging vor den Füßen der anderen Leute auf die Knie, sah aber keine Spur von dem Zylinder. Sie hörte die Stimmen von Karri und Timo und das immer lauter werdende Gemurmel der anderen, aber in ihrer Panik fühlte sie sich isoliert. Ihr Blick sprang über die Gesichter der Laestadianer, die sich im Halbdunkel abzeichneten und von denen sie die meisten kannte. Plötzlich hielt sie bei einem Mann inne, der nicht aus Pudasjärvi kam. War er einer von den Amerikanern? Nein …
Der Mann löste sich von den anderen und ging auf den Ausgang zu. Er hielt etwas in der Hand.
Saara stürzte los, stieß Erjas Tante aus dem Weg und rannte dem Mann hinterher. Er trug in seiner Hand den Metallzylinder.
68
Timo erschrak, als ein lauter Schrei des Entsetzens das Stimmengewirr übertönte und das Blut in seinen Adern gefrieren ließ.
»Helft mir!«, schrie Saara.
Timo drehte sich zum Eingang um. Dort versuchte Saara einem Mann den Zylinder zu entreißen, aber der Mann stieß sie mit einer heftigen Bewegung zur Seite.
»Bleib, wo du bist«, sagte Timo zu Karri, der den Rucksack mit dem Sprengstoff festhielt. Dann beugte er sich zu Johanna herab, die Tuija zu Boden drückte. »Gib mir die Waffe.«
Johanna gab ihm ihre Dienstwaffe, und Timo rannte dem Mann mit dem Zylinder nach.
»Freeze!« , rief er und richtete die Waffe auf den Mann.
Der andere ging weiter auf den Ausgang zu.
»Lass ihn nicht entkommen!«, schrie Saara hysterisch.
»Stehen bleiben, oder ich schieße«, brüllte Timo, aber der andere tat so, als hörte er nichts.
Timo zielte mehrere Meter an dem Mann vorbei und drückte ab.
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